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nach St. Ulrich? Der Knecht in seinem grödnerischen Hochmuth aber that, als verstände er nichts und arbeitete lautlos fort. Dadurch empfindlich sann ich auf Rache, und als ich noch ein paar Schritte gemacht hatte und das Stadelthor mich verdeckte, rief ich laut: Dang longsch ie’l pa tlo fin a Urteschei? worauf der Knecht wie ein angeschossener Keuler herausstürzte, weil er’s für Teufelsspuk hielt, daß der fremde Pilger, der so eben vorüber gezogen, in der Zunge von Gröden rede. Als er mich nun aber voll stummen Erstaunens betrachtete, sagte ich: Gehe nur wieder hinein, o Knecht, und da du Deutsch verstehst, so warte künftig nicht mehr, bis dich die Fremden in der Sprache von Gröden anreden, welche im gelehrten Deutschland Niemand erlernen kann, weil alle literarischen Hülfsmittel, insbesondere Grammatik und Wörterbücher vollkommen fehlen. – Da der Knecht aus dieser Rede nicht klug werden konnte, so zog er sich ohne ein Wort zu sagen wieder in seinen Heustadel zurück.

O du liebes, kleines, herziges, vielgeschmeicheltes doch unverdorbenes Thal von Gröden, was siehst du so freundlich aus im Abendsonnenstrahl! Weiße kleine Häuschen mit goldenen Fensterchen und weiße große Häuser mit goldenen Fenstern hockten so heimlich auf den grünen Halden herum und zwischen den Wiesen selbst reiften wieder goldene Kornfelder. Und zwischen Wiesen und Kornfeldern rauschte der Bach und über dem Bach, über Häusern, Wiesen und Kornfeldern dunkelte der Wald, und über dem finstern Wald und über der Freundlichkeit des Thales dräuten, obwohl jetzt rosenfarb angeschienen, deine geisterfarben gespenstischen Schrofen, die ja einmal insgesammt vor langen Tagen glühend aus der Erde gefahren seyn sollen. Jetzt sind sie zwar schon seit geraumer Zeit wieder kalt geworden und es verbrennt sich keiner mehr den Finger daran, aber noch stehen sie da wie dazumal und züngeln titanisch-keck gegen den Himmel und strecken ihre erstarrten Nadeln wie zischend in den Aether.

Also angelächelt und angeschauert zogen wir durch eine tiefe Schlucht hinab ins große Dorf der Schnitzler, an dessen ersten Häusern uns ein alter, blinder Bettler auf spanisch um

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_428.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)