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Licht fiel. Einfaches Hausgeräthe, etliche Bilder an den Wänden, links am Fenster ein kleiner Altar, diesem gegenüber das Bett, auf diesem und zwar auf dem untern, dem Altare zugewendeten Rande das Fräulein in weißem Gewande, selbst weiß wie Marmor, lange, schwarze Haare über den Nacken, kniend, die Hände gefaltet zum Kinn emporgehoben, die großen Augen regungslos aufwärts gerichtet, sie selbst ohne Regung und scheinbar ohne Leben. Eine stille Feierlichkeit lag über der jungfräulichen Gestalt und hielt uns Mannsbilder in bescheidener Entfernung, bis uns der Pater an das Lager führte. Wir sollten nur strenge Hinsehen, es rühre sich kein Augenlid, was wir auch richtig so befanden. Nach allen den Leiden, dem Brustweh und Halsübel, die sie in letzterer Zeit wieder dem Tode nahe gebracht, war die Verzückte eine überraschende Erscheinung, denn sie war zwar bleich, aber im Gesichte voll, was Ennemoser freilich aufgedunsen nennt. Von ihrer Stellung wird behauptet, sie berühre die Unterlage nur mit den Zehen, zwischen jener aber und den Knien könne man ein Kartenblatt leichtlich durchschieben. Nach einer Weile rief sie Pater Capistran leise beim Namen, um die Ecstase zu enden, und augenblicklich sank sie rückwärts und lag auf dem Kopfkissen, milde lächelnd, mit einem kindlichen Ausdrucke in den muntern Zügen. „Sie mag es nicht gerne leiden, sagt Görres, wenn der Ernst des Eindruckes, den die Scenen, von denen die Anwesenden Zeugen gewesen, hervorgebracht, in ihrem Ausdruck noch allzu sichtbar ist, oder wenn man ihr mit einer Art von Feierlichkeit und Verehrung naht und sucht dann durch ein ungesuchtes, fröhliches Benehmen diesen Eindruck zu verwischen.“ Seit dem Jahre, wo die erste Ecstase eingetreten, spricht das Fräulein mit Niemand mehr als mit ihrem Beichtiger und auch mit diesem nur, wenn dritte Personen nicht zugegen sind. Doch nimmt die Kranke wohl Antheil an dem was man ihr sagt. Die Fremden werden ihr vorgestellt und sie lächelt ihnen dann bewillkommnend entgegen. Wir Herren, wie es von unsrer Wohlgezogenheit nicht anders zu erwarten, hielten uns unaufdringlich, rückten nur so nahe heran, als uns die beiden Patres führten, und betrachteten mit

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)