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Hochthälchen erreicht, das Samnaun heißt und von romanisch sprechenden Bündnern bewohnt wird. Ehe man die Fluren der Samnauner betritt, kommt man aber noch durch ein tirolisches Dorf, Spiß mit Namen, das am selbigen Bache, eine halbe Stunde von Compatsch, dem Hauptorte der Samnauner, liegt, übrigens noch dem deutschen Sprachgebiete angehört. Man kann auf diesem Wege etwa in einem Tage von Finstermünz nach Ischgl im Paznaun gehen, der Weg führt aber über hohe Jöcher. Die junge Frau, die vorgestern in besagtem Ischgl beim Wälschen zu Abend gegessen und dann auf dem Friedhofe die Schädel der seligen Paznauner mit uns betrachtet hatte, war unterdessen, von Niemand sonst begleitet als dem Knaben des Wirthes zu Ischgl, diesen Weg gegangen, aber fast erlegen und halbtodt an die Straße gekommen.

Darnach gelangt man alsbald in die verdientermaßen so oft beschriebene und gezeichnete Schlucht von Finstermünz. Hier geht eine hölzerne bedeckte Brücke über den Inn, der seine grünen Fluthen in engem Bette aus dem Engadein herauswälzt, auf der Brücke steht ein alter Wachtthurm, jenseits derselben ein altes, am Felsen klebendes Schlößchen, von Herzog Sigmund erbaut und Sigmundseck genannt, unter diesem eine Art von Klause, die jetzt ein Wirthshaus geworden. Alles dieß erregt an und für sich kein großes Aufsehen, aber ungeheuer ist die Felswand, die über diesen Gebäuden aufsteigt, und noch schroffer und schrecklicher sind die Nachbarn, die von allen Seiten emporragen. Die ganze Schlucht mit den wilden braunen Schrofen, aus denen sparsam die Tannen aufsprießen, mit dem rauschenden Flusse tief unten und der schmalen Decke blauen Himmels oberhalb, zusammen mit den einsamen Nestchen, die sich die Menschen in diese drückende Enge hereingebaut, macht allerdings einen nicht gemeinen Eindruck.

An dem Wirthshause in der Finstermünz hängt ein Schild mit einem Bräubottich, aus welchem ein paar Gerstenähren erblühen, während zwei Bierschapfen dahinter übers Kreuz gelegt sind. Dieß bedeutet, wie jeder weiß, eine Bierbrauerei, aber der Stellwagen hält da nicht und es fehlte daher alle Muße zur Untersuchung, wie weit diese vaterländische Kunst

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)