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Das Wirthshaus zu Unserer Lieben Frau – das untere nämlich, denn es sind deren zwei – hat unsre Erwartung weit übertroffen. Seppele, der Wirth, ist ein einundzwanzigjähriger Knabe, groß und schön mit langen krausen Haaren von dunkler Farbe, ein Musterbild von einem Schnalser, und seine etwas jüngere Schwester steht als Schnalserin eben so preiswürdig da. Beide waren überaus freundlich und dienstbeflissen und halfen zusammen um uns das Daseyn angenehm zu machen. Seppele setzte uns das Beste auf was er hatte, nämlich frischen Braten vom Fleisch des Gstrauns, worunter aber der Leser nicht etwa ein fremdartiges Thier der Alpenwelt, sondern lediglich einen Hammel verstehen wolle, der in Tirol allgemein mit diesem aus dem italienischen Castrone verstümmelten Namen belegt wird. Ueberdieß hatten wir einige andere Zuspeisen und vortrefflichen Wein. Wir betrachteten uns diesen Abend schlechtweg als eine paar rare Leute, dieweil wir, was zwar auch vielen andern vergönnt, aber doch noch ungleich mehreren versagt ist, einen Gang über die Oetzthaler Ferner gemacht hatten, freuten uns immer wieder von neuem über das schöne Gelingen, wiederholten uns alle die vorübergegangenen Ereignisse des Tages, die stille Sonntagsandacht im Regen, als uns die Vender zum Gotteshause hinausgeellenbognet hatten, den trüben Abschied vom Wirth, die Votivtafel mit dem Lottermensch, die biedere Manier Nicodemus des Rofners, den Gang durch die Wüste der Gletscher, das ragende Horn Similaun, die unterbrochene Fahrt nach dem gefrorenen Wasserfalle, die jähen Sprünge von dem Ferner herab und die hallenden Grüße der Männer von Schnals, als wir in ihr Thal traten. Daran hatten wir viel zu reden und lange Zeit redeten auch die starken Schnalser drein, und als diese am späten Abend fortgingen, blieben wir noch erinnerungsvoll über dem Glase sitzen, und dabei strömten uns, wie wir meinten, immer noch bessere Gedanken zu und frischere Ansichten von dem Reisen in der Welt. Und den der sich einmal in solcher Lage befunden, in einem gastlichen Hause, am Fuße der Ferner, auf denen er den Tag zugebracht, einen solchen, sag’ ich, wird’s nicht grämlich machen,

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)