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die Schneekoppe im Riesengebirge. Es finden sich hier fünf Bauernhöfe, und darin wohnen etliche vierzig Menschen die keine Felder mehr bauen, aber schöne Alpenweiden besitzen und durch Viehzucht einen ziemlichen Wohlstand unterhalten.

Das Thal von Vend ist ein Seitenstück zu der Landschaft von Galthür: hölzerne Alpenhäuser und eine weiße Kirche, glatte Wiesen, ein ruhigfließender Bach, niedere grüne Berge. So grauenvoll der Winter seyn mag, so harmlos und artig scheint das Gelände im Sommer. Wir haben der Ueberraschung schon einmal gedacht, die den Pilger befällt, wenn er Tage lang am tobenden Bache aufwärts gegangen, an Schrofen und dräuenden Felsen vorbei, durch grause Schluchten, über Lawinenbahnen und Steingerölle, zeitenweise die ernsten Gletscher im Auge – wenn er nun immer tiefer ins Gebirge hineinkommt und zuletzt wo der Schauer am größten seyn soll, in den grünen Wiesenplan eintritt und statt des verwüsteten Tummelplatzes dämonischer Gnomen den ebenen Tanzboden friedlicher Elfen findet. Dasselbe Gefühl kehrt auch hier wieder, und man kann es noch an vielen andern Stellen erleben.

Das Wirthshaus zu Vend ist eine sehr ärmliche Anstalt und kann vielleicht auch nicht viel besser seyn. Frisches Fleisch kommt nur bei feierlichen Gelegenheiten vor, sonst hält man zum Bedarf der Fremden geräuchertes Kuhfleisch, mager, dürr und ranzig, eine höchst unleckere Nahrung. Das Brod wird alle vierzehn Tage vom äußern Thale hereingeholt und ist also dreizehn Tage altbacken. Der Wein – in jedem Betracht das beste was zu haben – kommt im Winter auf Schlitten über Zwieselstein herein, und dazu muß als Bahn, wenn der Pfad ausgeht, auch der gefrorene Bach behülflich seyn. Die Betten waren nicht lang genug für uns, was anzudeuten scheint daß die Reisenden der Mehrzahl nach kürzer sind als wir.

Den Abend füllten wichtige Gespräche über die Fernerfahrt die wir vorhatten. Einige Bauern gaben darüber ihre Gutachten ab, die aber sehr weit auseinanderwichen. Die einen erklärten den Gang für höchst bedenklich, die andern für ein Kinderspiel, vorausgesetzt daß gut Wetter sey. Der Wirth nannte Nicodemum von Rofen als den besten Mann für Gletscherreisen.

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)