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durchgerissen. Derselbe hat nun von Umhausen aufwärts schon allerwege rührig gebrummt und gedonnert, aber hier wird das Getöse grauenvoll. Das sieht aus wie ein Stück Weltmeer, mit dem ein brüllender Orkan sein Wesen treibt, um es in wüthender Brandung an ein Riff zu jagen – so bäumen sich die Wogen, so sieden die Wässer, so tobt alles durch einander. Dabei hört man auch noch mitten durch den Höllenlärm das dumpfe Aneinanderprallen der unsichtbaren Felsenblöcke, die der Bach in seinem Grunde daherwälzt. Wie lange mag es dauern, fragt sich der Zeuge dieses Schauers, bis das rasende Element all das Felsenwerk, wie es ihn ängstigt und wüthend macht, zusammenreißt? und wenn er sich nicht bedächte, daß das Ding vielleicht schon Jahrtausende so forttobt, möchte er ihm wohl kaum mehr eine Viertelstunde Zeit geben. Gerade wo es am fürchterlichsten tost, geht ein schwankes Brückchen über die Wässer, welche es zu allen Zeiten mit ihrem Schaum übergießen. Da wird sich der Langsamste beeilen, um schnell drüber zu huschen und vom jenseitigen festen Ufer desto behaglicher den Graus zu betrachten.

Es ist kein Wunder, daß der Volksglaube in dieser Schlucht des Schauders eine Schaar von boshaften Hexen wohnen läßt, die den Wanderer bei Nacht mit Teufelsspuk fast bis zum Wahnsinn plagen. Der Oetzthaler betet und bekreuzigt sich, wenn er nach Gebetläuten den unheimlichen Pfad zieht. Wer nicht beten und sich nicht bekreuzigen will, wird besser thun ihn gar nicht zu gehen.

Auf diese enge Wildniß folgt dann wieder die offene Gegend von Lengenfeld, lachende Fluren mit Wies und Feld, reich besetzt mit Häusern und Hütten, jetzt voll idyllischen Lebens, vor langen Zeiten, wie noch die Sagen melden, ein einsamer Bergsee. Jenseits der Oetz gewahrten wir den schönen Wasserfall des Lehnbaches, auf einer Anhöhe zeigte sich schön gestellt die Dreifaltigkeitskirche von Kropfbühel.

Lengenfeld ist ein großes, gut gebautes Dorf, das durch einen schönen Fichtenhain und einen Fernerbach in zwei Theile geschieden wird. Auf den Jöchern, die das Thal begränzen, liegen schon bedeutende Gletscher, die da und dort in aller

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: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_225.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)