Die letzte Wanderung ist ein gutes Stück über Vorarlberg
hinausgegangen, da das ganze Paznaunerthal zum Land
Tirol gehört. Noch bleibt uns übrig Einiges von den schönen
und fruchtbaren Gegenden am Rhein zu sagen. Wir
gehen daher von Chur aus durch Maienfeld, ein sehr unscheinbares
städtisches Nestchen, und ziehen St. Luciensteig hinan.
Das Thal von Chur bis daher hat die Zierde der Fruchtbarkeit
und ist an allen Halden mit großen Dörfern und mit ausgebrannten,
aber noch im Namen erinnerungsreichen Burgställen
geschmückt, über denen die rühmlichsten Berghäupter
aufsteigen. Weiter wollen wir diese Schönheiten nicht auseinander
legen; wir sind jetzt schon auf der Luciensteig, die
von St. Lucius, einem König von Schotten und Apostel der
Rhätier, ihren Namen hat, beim Passe, wo eine niedere Mauer
und ein kleiner Wall durch den engen Bergsattel gezogen ist,
wo ein Zollhaus, ein Thorbogen und links von der Straße
ein uraltes Kirchlein steht. Die andere Aussicht, in die Ferne
nämlich, geht nicht sehr weit – unten ein Stück Rheinthal,
darüber der Säntis. Daß da auf St. Luciensteig in der uralten
Herberge eine kühle steinere Trinkstube ist, lernte der Wanderer
erst zu spät von Gustav Schwab; sonst war’ er an dem heißen
Tage gewiß nicht so spröd vorbeigegangen.
Von der Steig zieht man hinab und kommt zuerst an den St. Katharinenbrunnen, der unter der Straße hervorquillt. Dort liegt ein grauer Stein, der auf der Seite die gen Bünden sieht das bündnerische Wappen weist mit den ehrwürdigen Worten: Alt fry Rhätien. Dann geht’s gen Balzers, erste
Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)