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den Gänstelberg, wo sie dann jählings unsichtbar wurden. Sie waren Heiden, hatten ihre Wohnung in Höhlen und lebten von Wurzeln. Ihr Alter stieg wie das vieler andrer Einwohner weit über hundert Jahre. – Ein Bergmännlein wurde einmal vor Jahren zur Sommerszeit auf der Bärenweid, einer hohen Alpenrevier, sichtbar und bot sich dem Hirten als Freiwilliger zum Viehhüten an. Dem Hirten war es recht, und das Männlein bewies sich so fleißig in seinem Dienste, daß ihm der andere eines Tages, nachdem es einen Sommer gedient, als Lohn und Aufmunterung ein grünes Röckchen hinlegte[.] Das Männlein zieht das Röcklein an, besieht sich darin ganz wohlgefällig, ruft: Wenn ich gewußt, daß ich ein solcher Kerl bin, hätt’ ich nicht so lange gehütet – lauft davon und kommt nicht wieder. Auch das Nachtvolk („Striges," zu deutsch wohl: Hexen) machte großes Aufsehen im Walserthal und hatte seine Einkehr zumeist auf dem vordern Boden. Einmal stellte es daselbst am hellen Tage, an einem Apostel- oder Maria-Fest, während des Gottesdienstes einen prächtigen Schmaus an. Es nahm die schönste Kuh aus dem Stalle, machte sich viel Geschäft, sie zu schlachten, zu sieden, zu braten und verzehrte sie unter Tanzen und Springen, Singen und Jauchzen und unter dem angenehmsten Trommel- und Saitenspiel. Es gab auch den Kindern des Hauses gar niedlich zu essen, verbot ihnen aber einen Knochen zu zernagen oder zu verlieren. Endlich suchte es die Knochen sorgsam zusammen, konnte aber trotz allen Fleißes einen nicht mehr finden. Nun wickelte es die übrigen in die Haut und sagte, es müsse die Kuh gleichwohl hinken lassen, was sich auch in der That so befand; denn dieselbe stand im Stalle, so brauchbar als zuvor, nur daß sie den einen Fuß etwas nachschleppte. Ferner erzählt die Chronik: Ein Liebhaber der Musik ging dem lustigen Nachtvolk einstens auf den Brunnenberg nach, horchte seines Saitenspiels und schaute seinem Tanz und anderer Kurzweil die ganze Nacht hindurch zu. Gegen Morgen machte sich eines nach dem andern davon, aber das letzte steckte noch ein Messer, wie es dem Zuschauer bedünkte, ober die Thür der Tanzhütte; in der Wirklichkeit jedoch befand sich solches in einem Knie des

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_090.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)