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mit Malereien und Sprüchen wurden uns auch gezeigt und in einem Fenster waren ein paar gemalte runde Scheiben zu sehen, die auf die Vermuthung führen mußten, als hätten die Walser ehemals in ihrer Ueppigkeit gar die Stubenfenster malen lassen. In der Flur hingen einige wehrhafte Hellebarden und ein treffliches Schwert mit langer Klinge und großem Korbe. Auch ein Spinnrad vom Jahre 1543 ist zu bemerken und ein paar alte Kalender aus dem Anfange vorigen Jahrhunderts, mit großer astrologischer Gelehrsamkeit geziert und genauer Angabe, welche Tage nichts nutz und welche gut zum Schröpfen, Aderlassen und Purgiren.

Nicht ohne vergnügte Neugier betrachteten wir den alten seltsamen Kram und machten mit Bedauern, die Wahrnehmung, daß einst auch im Walserthale das Leben viel reicher, farbiger und malerischer gewesen als heutzutage. Daniel Müller schenkte uns auch ein Packetchen von seinem alten Roggen und gab uns einen eigenhändig schön und orthographisch geschriebenen Zettel dazu, der die Geschichte desselben erzählt. Unser Eifer für die Sache hatte ihn übrigens so eingenommen, daß er uns nicht mehr aus dem Hause lassen, sondern über Nacht behalten wollte. Er zeigte uns mit Selbstgefühl seine schmucken Gastbetten, doch wollten wir dem alten Manne so viel Unruhe nicht ins Haus bringen, und gingen daher nach herzlichem Abschied auf das Mittelberger Wirthshaus zu, wo wir jetzt die Leute zu Hause fanden und abermals freundschaftlichst aufgenommen ein Nachtquartier bestellten. Es läßt sich nach allen vorausgehenden Beispielen von der Art der Walser denken, daß der Wirth, nachdem er erst die Frage gethan, wo wir herkämen und was wir seyen, bis zu später Stunde keinen Augenblick abließ uns zu erheitern, von der Geschichte des Thales zu erzählen, die Weltläufte zu glossiren und die Bewirthung zu besorgen. Er ist der dritte im Kleeblatt der ausgezeichneten Wirthe des Walserthales, hatte übrigens auch, wie alle Leute, die wir den Nachmittag gesprochen, eine überschwängliche und maßlose Meinung von Daniel Müllers hundertjährigem Roggen und dessen archäologischer Bedeutsamkeit, legte dagegen sehr wenig Werth auf die historischen

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_083.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)