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wilde Wasser den schmalen Pfad zerrissen haben – nicht ohne Mühsal, aber ohne Gefahr. Der junge Lech rinnt unten in der Schlucht, zürnt, stürmt und bäumt sich in seinem Felsenbett, fängt sich aber dann wieder in einer Wasserstube und schlägt ruhig wirbelnd seine grünen Kreise. In der Höhe wechselt die Begleitung vielfach. Einmal geht’s über Weiden die rückwärts an steil aufspringenden Kämmen enden, durch hohen Fichtenwald, in welchen ungethüme Felsentrümmer eingesprengt sind; ein andermal kriecht der Steig an überhängenden Wänden hin, auf deren Grate einzelne Fichten in die Lüfte ragen wie Aehren, die dem Sturm zur Nachlese übrig gelassen sind. Ein Wasserfall wirft sich vom hohen Felsensöller über die rothe Wand herunter, gönnt sich kaum Zeit die Wasser wieder zu sammeln, und eilt flüchtig durchs Tannendickicht hinab in den Lech. Oft wird’s dann auch wieder frei um den Wanderer, er sieht weit hinein ins Gebirge: die beeisten Häupter glänzen so schön im Sonnenschein; stille Nebenthäler gehen ein, jedes mit seinem eigenen Bach und seinen eigenen Wasserfällen; weit drinnen, drüben über der Schlucht stehen einsame Sennhütten, aus denen Rauch aufsteigt, und ihre Fensterchen funkeln im Morgenstrahl – das ist ein wirkliches Sirenenbild! Da sitzt jetzt die junge Sennerin am Feuer, und schürt und singt dazu; ja, den Rauch sieht man wohl aufsteigen, aber der Jodler verhallt im Tosen der rauschenden Wasser. Allmählich kommt man auf die Höhe, wo die Fichten sparsamer werden, und wo jenseits der Taschenberg seinen ungeheuren grünen Mantel auseinanderschlägt Dort drüben fahren aus den breiten Halden wilde Schrofen zackig und zerrissen in die blaue Luft.

So war ich von Steg durch Wald und Weide drei Stunden aufwärts gestiegen, ohne daß mir eine menschliche Seele begegnet. Obschon der Tannberg der einzige Paß zwischen dem Lechthal und dem Bregenzerwald, zwei so dicht bevölkerten Thälern, so mag doch mancher Tag vergehen, wo Niemand über die Höhe klimmt. Im Gebirge zieht sich Alles dem Bache nach; draußen „im Lande," wo er hinfließt, draußen sind die Gerichte, die größern Orte, die Flecken und

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_039.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2018)