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einschlägige Winke und praktische Rathschläge: hier ergänzt er die fragmentarische Schönheit einer Bicycledress, dort spricht er durch einen vorwurfsvollen Blick die Unmöglichkeit eines ganzen Hosenstoffes aus. Sein prägnanter Tadel: „Das wird sich nicht halten“ oder: „Das trägt man nicht mehr“ oder: „Mit Ihnen kann man nicht gehen“; sein bündiges Lob: „Das kann so bleiben“. Und man mag sich diese Kritik ruhig gefallen lassen, da unser Dichter selbst der Natur gegenüber mit ähnlichen Bemerkungen nicht zurückhaltend ist, indem er sich beim Anblick einer Landschaft schon wiederholt geäussert haben soll: „Das müsste etwas stylisirt werden!“ und nur selten das Lob spendet: „Das kann so bleiben“.

Dieser Dichter nun geht in seinen Bestrebungen so weit, dass er von der eigenen Umgebung nicht mehr verstanden wird. Dem Gedankenfluge seiner polychromen Gilets vermögen die Kleinen mit ihren unbedeutenden Hemden nicht zu folgen. So hat er das Leid des einsamen Menschen zu tragen, und es erfüllt mit ehrfurchtsvollem Schauer, wenn man den von seiner Zeit nicht erfassten Geist in seiner Zurückgezogenheit belauscht. Von Allen weiss er sich am längsten mit sich selbst zu beschäftigen, auf sich zu concentriren. Ferne dem lärmenden Treiben, sitzt er stundenlang vor dem Spiegel: – enfin seul mit seiner Cravatte!... Aber auch er wird sich durchsetzen, und in gerechter Würdigung seiner Verdienste wird es von ihm einmal heissen:

„Er war ein Dichter, der sich nicht nach der Schablone anzog, eine eigenartige Begabung, die sich noch in der durchaus selbständigen Form der Stiefletten äusserte. Dieser sensitiven Natur ist ein falscher, nicht am Hemd angenähter Kragen stets stimmungswidrig gewesen. Seiner scharfen Beobachtungsgabe, die noch durch ein feingeschliffenes Monocle verstärkt war, entging kein Toilettefehler, und die Empfindungen, die in ihm eine chike Cravatte hervorzurufen wusste, vermochte ihm ein Taschentuch, das zu weit aus der Rocktasche heraushing, sogleich wieder zu zerstören. Die intensivsten Stimmungen, die originellsten Gedanken, welche Anderen zu literarischen Erfolgen verholfen hätten, Er hatte sie in seinen schönen Gürteln angelegt. Dieser Dichter war eine Individualität. Gott schütze uns vor seinen Epigonen!“

Man sieht, es ist nicht immer nur das Fachinteresse, auf welches Gäste des Literatur-Cafés rechnen können; einige tragen ja doch auch eine allgemein menschliche Komik zur Schau. Man verzeihe,

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_33.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)