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bischen emporkommen!“ Auch jene Menge von Kennern, welche die Posen erst aus zweiter Hand haben und auf die Affectationen subabonnirt sind, bekannte sich jetzt zur olympischen Weltanschauung, und das ruhige Künstlerauge, mit dem einige „reine Künstler“ über ökonomische Thatsachen hinwegsahen, verrieth nur zu deutlich die Goethe-Naturen. Kurz, Alles, was im Café Griensteidl die Zeche schuldig bleibt, war jetzt abgeklärt. Wer nicht eigentlich zur Literatur gehörte, aber den Gesprächen lauschen und Stichworte bringen durfte, begann sich als Eckermann zu fühlen. Der Führer aber, der so that, als ob Weimar und nicht Urfahr die Vorstadt von Linz wäre, weitete seinen Blick immer mehr und wurde so vielseitig, dass man allgemein befürchtete, er werde sich am Ende noch mit Farbenlehre und Optik beschäftigen. Denn nicht zufrieden damit, eine ungefähre Kenntnis des Theaters zu besitzen, fing er jetzt an, bildende Kunst misszuverstehen, ja abstract philosophische Themen eingehender zu verflachen. Für den wohlwollenden Ton, in welchem dieser erste Kenner zu seiner Menge sprach, sind die Worte charakteristisch, die er damals in einer Abhandlung über den Werth körperlicher Uebungen geschrieben hat: „.... und so kann man mich jetzt, gegen meine sonst lieber sitzende und meditativ herumliegende Art, fleissig in unserer lieben Stadt spazieren sehen, ganz wie Vater Horaz, behaglich schlendernd, Schwänke im Sinn, ohne Plan.“ Ueber den Verkehr mit seinen Schülern ist bekannt, dass der Herr aus Linz sich jederzeit mit Selbstentäusserung für sie eingesetzt hat. Ohne ihn wäre manche junge Talentlosigkeit frühzeitig zugrunde gegangen und vergessen worden. Es sind nicht Wenige, die sich rühmen können, von ihm entdeckt zu sein. Sie tragen das unverlöschliche Brandmal seiner Prophezeiung, Europa werde in vier Wochen von ihnen sprechen. „Wie ich Europa kenne“, denn – sagte er einmal – „Europa zwischen Wolga und Loire hat kein Geheimnis vor mir“. Nun schien es aber, auch in dieser bescheidenen Einschränkung, doch ein Geheimnis vor ihm zu haben. Es wollte sich, selbst als man den Termin der vier Wochen erheblich prolongirt hatte, zu einer Aeusserung über die im Café Griensteidl gemachten Entdeckungen durchaus nicht bewegen lassen. Aber vielleicht hat gerade der Umstand, dass sie nach so lärmender Inscenirung unbekannt blieben, diesen jüngsten Dichtern einen Namen gemacht.

Die Thatsache, dass Einer noch ins Gymnasium ging, begeisterte

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_28.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)