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Aber wie Herr Broda den Moritzky gab, muss man sehen. Ganz Wien sollte hin. Das ist über den Spanier Vico und den Holländer Boomeester etwas ganz Neues, wie er in diesen Moritzky hineinkriecht, ohne Rest. Er gab die Erlösung und Weihe des Abends. Es ist ein halber Kainz in ihm und eine heimliche Duse. Mir fehlen die Worte. Aber man müsste die Formel suchen für die vagen und wirren Empfindungen um das grosse Unerhörte der Kunst des Broda.“

In jedem seiner Referate ergoss sich eine Sturzfluth neuer Eigennamen ins Land. Die Kunstgrössen, die er einführte, waren einzig und allein ihm dem Namen nach bekannt; oft hatte er sie von spanischen Theaterzetteln oder gar portugiesischen Strassentafeln abgelesen. Noch heute versteht er es, uncontrolirbaren Thatsachen den Schein des Erlebten zu geben, Dinge, die er gerade anbringen will, tiefursächlich zusammenzuhängen. Es ist – um in seinem Styl mit Goethe zu sprechen – ein ungemeiner Zettelkasten, den nicht er, sondern der ihn hat.

Als Kritiker hatte er bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Er interessirte. Mochte man auch nicht immer mit dem Ton einverstanden sein, man sagte sich doch, das ist Einer, der Klärung bringt, der, auf das Unverständnis Anderer nicht angewiesen, jederzeit sein selbstständiges Vorurtheil hat. Der seichte Impressionismus, dem sich dieser kritische Bummler überliess, berührte anheimelnd; der Mangel an Humor, der eine seltene Standpunktlosigkeit verkleidete, aber doch discret durchblicken liess, gefiel, der Tadel, der kein zielbewusster Angriff, sondern vages Anrempeln war. Man klatschte Beifall, wenn er in seiner Weise Protest gegen den guten Geschmack erhob und an das dionysische Bedürfnis des Studenten erinnerte, Gewölberollläden mit dem Spazierstocke zu streifen. Dermassen hat er oft sich ausgelebt und die Wachleute der öffentlichen Literaturordnung geuzt.

Sturm und Drang wurden eines Tages von weimarischer Vornehmheit abgelöst. Die Zeit der Reife war für ihn gekommen, blasirte Behaglichkeit trug seine Worte, und aus den Weisungen, die er von seiner Höhe an die Jugend des Landes ergehen liess, sprach „schöne Güte“. Aber sogleich fasste dieselbe Jugend den Entschluss, ihm nachzureifen, die jüngsten sprachen von den „jungen Künstlern“, und als eines Tages das Erstlingswerk eines Neunzehnjährigen erschienen war, rief ein zwanzigjähriger Gönner aus: „Es ist mir nicht unlieb, dass die jungen Leute jetzt ein

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_27.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)