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habe, wie ich neulich die Dränge des jüngsten Oesterreich zeigte, die besondere Art des Schnitzler gelehrt. Es passt das herbe Wort des heimlichen und geflissentlich komischen Julius Bauer, dort, wo er eigentlich schon mehr Isidor Fuchs heisst: „Ein kleiner Beamter hat nichts, aber das hat er sicher.“ Er will den Viveur, aber mit der wienerischen Note, nicht in der Technik der Franzosen, wie ihn etwa Pierre Blanchard gezeichnet haben würde oder ein anderer französischer Eigenname, den nur ich kenne, wenn ich von Ferry Beraton absehen will, der ihn dann aber auch von mir hat. Es ist dies die Kunst der Nerven, von den Nerven auf die Nerven, und man muss dabei an Berti Goldschmidt denken und an die psychologie blasée der Stendhal und Huysmans, von den Goncourt’s über Lavedan bis zu Loris und Maurice Barrès und nach Portoriche, die mit der feinen Nase für den Geruch der Dinge, die wie ein letzter Rest von Champagner ist und sich wie die zähe Schmeichelei verblasster alter Seide fühlt, aber immer ein bischen in dem lieben traulichen Wienerisch des Canaletto. Er gibt müde Stimmungen, die um die Kunst der Watteau und Fragonard sind, mit der weichen Grazie der Formen und mit den halben, heimlichen Contouren, die sich nur noch nicht recht trauen. Aber es gährt noch. Seine Kunst sucht Harmonie. Ein Rest bleibt. Das sind die kurzen Sätze. Ich kann nichts dafür. Es sind verwegene, ungestüme und verworrene Triebe, die drängen. Aber der zuversichtliche Gestalter des intimen Erlebnisses, das Kunst verlangt, setzt sich bald durch. Und nun die Darstellung. Da will Vieles nicht. Manches gelingt. Die Sandrock war wieder ein köstliches Wunder an reiner Kraft und Schönheit. Aber ihre fürstliche Kunst war allein. Nur Herr Nhil darf sich noch an ihr messen, allenfalls auch der sicher wachsende Giampietro und Tewele, wenn er sich die Nase abgewöhnen möchte. Bei den Anderen musste ich an Iglau denken, dort, wo es schon Leitomischl ist. Es war schändlich und beleidigend. Freilich fehlt die Regie. Künstlerische Triebe zerfahren. Ein besserer Tapezierer und Kadelburg kann nicht helfen. Die sichere Weise des spitzen Martinelli wäre da mehr am Platze gewesen, seine nachdenkliche und wägende Technik, die trifft. Herr Kutschera lässt als Gigerl seine Helden vergessen. Fräulein Hell, die immer so heult, werde ich nie vergessen und verwinden können. Darum spielen sie jetzt auch die junge, begabte Bauer gegen die ältere Collegin aus, jenes liebe, blasse Mädchen, das rührt.

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_26.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)