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wiewohl er zu gereift ist, um sich noch über irgend etwas aufregen zu können. Er, der weder radfahren noch kegelschieben kann, mithin dem Director der Hofbühne die Entdeckung seines Talentes erheblich erschwerte, hat sich doch im Burgtheater festzusetzen gewusst. Dies soll daher kommen, weil sein Werk eine höchst glückliche Verbindung missverstandenen griechischen und nicht erfassten modernen Geistes bedeutet. Für das Wienerthum seiner Umgebung bringt er eine unsäglich bukowinerische Note mit, die sich insbesondere darin kundgibt, dass er den x-füssigen Jambus mit grosser Geschicklichkeit anwendet. Sein Stück erweckt den Eindruck, als ob es über Aufforderung Büchmann’s geschrieben wäre. Es enthält eine Reihe überaus mühsam geflügelter Worte, in der Art: „Die Sehnsucht nach dem Glück ist mehr als Glück“, oder: „Wie wenig kennt das Volk doch seine Geister!“. Und über dem Ganzen liegt es wie ein Hauch von Gindely, aber vom kleinen. – Der Ruf eines Grillparzer-Epigonen schmeichelt ihm so sehr, dass er, um mit seinem Vorbilde wenigstens etwas gemeinsam zu haben, beabsichtigen soll, sich jetzt um eine Staatsbeamtenstelle zu bewerben und auch fürder in Allem sich streng nach des Dichters Biographie zu richten. Wenn er schon aus der alt-österreichischen Tradition nicht herausgewachsen ist, entgehen lassen will er sich sie keinesfalls. Möge es ihm nach den Aufregungen und Strapazen der Première nun auch gegönnt sein, in Ruhe zu erleben, was er in seinem Stücke gedichtet hat!

Wer ist jener lebhafte Jüngling, der eben an die Herren des Kreises mit Fragen aller Art herantritt? Eine der seltsamsten Erscheinungen der Kaffeehauswelt, hat er sich dadurch, das man ihn noch niemals sitzen sah, zu einer stehenden Figur des Griensteidl herausgebildet. Er hängt insofern mit der Literatur zusammen, als ihm die Aufgabe obliegt, des Nachts die Dichter nach Hause zu begleiten. Hat einer der Herren einen Erfolg aufzuweisen, so wird Er grössenwahnsinnig, und oft ist er durch das Lob, das Andere ernten, recht übermüthig geworden. Mit seinen literarischen Collegen hat auch er von Goethe manche Anregung erfahren:

Er ging ins Kaffeehaus so für sich hin,
Um nichts zu nehmen, war sein Sinn.

Dabei ist er der fleissigste Stammgast. Die Marqueure haben sich an diesen Zustand gewöhnt. Anfangs musste er wohl, wenn die Andern bestellt hatten, stets wiederholen: „Mir bringen Sie

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_16.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)