blassen Hände auf dem dunklen Samt der Armlehne matt ausgestreckt, mit den tief in ihren Höhlen ruhenden Augen langsam von Dir zu mir herüberblickte, – da fühlte ich mit nagendem Schuldbewußtsein das Entsetzliche unsrer Lage. Nicht daß wir uns lieben, Geliebte, ist Schuld, sondern daß wir es vor ihm verbergen, wie ein Verbrechen!
Ich kann nicht leben ohne Dich, und ich kann doch so nicht leben!
Laß mir den einen Tag, damit ich zu mir selber komme!
Teuerste Marquise. Meine arme Schwester ist von dem schweren Schlag, der sie getroffen hat, so erschüttert, daß sie noch nicht imstande ist, Ihren liebevoll teilnehmenden Brief zu beantworten; sie bittet mich, es an Ihrer Stelle zu tun.
Ich kann nicht leugnen, Allerschönste, daß ich trotz des Unglücks, das den Anlaß zu diesem Schreiben bietet, die Gelegenheit freudig ergreife, wieder in Verbindung mit Ihnen zu treten. Zwinge ich doch auf diese Weise Ihr Auge, wenigstens auf meiner Schrift zu ruhen!
Sie sind ungeduldig? Gemach, ich komme bereits zur Sache! Clarisse hat fast ihr ganzes Vermögen verloren, was sie um so härter berührt, als
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/337&oldid=- (Version vom 31.7.2018)