Seite:De Die Chinesische Mauer (Kraus) 17.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wunsch ein, sich zum Christentum bekehren zu lassen, wenn eine Feinschmeckerin auf das Hors d’oeuvre der ethischen Absicht schon nicht verzichten will. Und aus dem großen Lustbad, das der schmutzigste Winkel der Weltstadt darstellt, steigen täglich treue Gattinnen und unschuldige Töchter in erneuter Schönheit zum Standard ihrer sozialen Ehre empor. Manchmal bleibt eine und verträumt ihr Leben im Opium, die andere wird einen europäischen Grafen heiraten —— den meisten färbt das Glück die Wangen rot, die honeste Langweile ihres Tags um eine Stunde zu betrügen. Was wissen Gatten und Väter davon? Eine starb. Vielleicht, daß ein Prostituierter sein Herz an sie verlor und eifersüchtig wurde; vielleicht hat er sie nicht aus Leid, sondern zur Lust gemordet; vielleicht hat ihre Weigerung, sich prostituieren zu lassen, ihrem Leben den kürzeren Prozeß gemacht. Der Mordfall ist eine Unregelmäßigkeit; er zeigte uns die Einrichtung und beweist nichts gegen sie. Elsie Siegls Tod ruft die moralische Welt in Waffen, aber was er enthüllt, zwingt sie, die Waffen zu strecken. Sie müßte sie gegen ihre Weiber wenden, um aller Enttäuschung für allemal Herr zu sein. Wie anders sollte sie dieser fürchterlichen Bundesgenossenschaft der weißen Frau und der andern Rasse, dem Einverständnis verstoßener Naturmächte, ein Ende setzen? Sie könnens nicht fassen und ziehen zur Erklärung vielleicht Magie und Zauberei heran.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Kraus: Die Chinesische Mauer. Leipzig 1914, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Chinesische_Mauer_(Kraus)_17.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)