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Sie sahen sich jeden Tag vor wie nach und je länger es dauerte, um so mehr erkannten sie, daß sie eins ohne das andre nicht leben könnten.

Ein paar Jahre später kam ein mächtiger Königssohn zum Besuch an den Hof des Königs, dem gefiel die Prinzessin so gut, daß er sogleich um ihre Hand anhielt. Der König, welcher seine Tochter sehr liebte, sprach: „Ich gebe gern mein Jawort, wenn es ihr recht ist.“ Als der Königssohn aber der Prinzessin von seiner Liebe sprechen wollte, wies sie ihn ab und sprach: „Spart euch die Mühe, mein Herz gehört dem Gänsehirten an unserm Hofe und keinem andern; wenn ich den nicht bekomme, will ich nie heirathen.“ Darüber war der Prinz höchlich entrüstet, ging zum König und sagte es ihm wieder. Der König erzürnte sehr, als er das hörte und sprach: „Dem wollen wir bald abhelfen;“ ließ sofort den Hirten rufen und sagte: „Bereite dich zum Tode, morgen wirst du lebendig verbrannt, weil du dich vermessen hast, die Prinzessin zu lieben.“

Das war an einem Morgen, gerade als der Hirte sein Federvieh austreiben wollte. Er nahm seinen Hirtenstab und ging so recht von Herzen betrübt hinter seinen Gänsen, Enten und Hinkeln daher der Weide zu; da setzte er sich hin und weinte bitterlich, daß er die Prinzessin und sein junges Leben so bald verlieren sollte. Da stand plötzlich ein Greis neben ihm der fragte ihn, was ihm fehle. Als der Jüngling ihm sein Leid geklagt hatte, sprach der Greis: „Gehe getrost in das Feuer, es wird dir nichts anhaben können, denn Gott kennt deine Unschuld und schützet dich.“

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_313.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)