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sie an der Mühle abhole. Als es gegen Abend ging, trat sie in die Mühle und fragte, ob sie wohl Dienst haben könne. „Was kannst du denn?“ fragte der Müller. „Spinnen und nähen“ antwortete sie und da eben eine Magd fortgegangen war, so nahm sie der Müller an. Jeden Tag fuhren die Mühlbursche Mehl in des Königs Schloß und wenn sie heimkamen, erzählten sie, was in der Stadt vor sich ging. Also erfuhr die Jungfrau, wie der Prinz eine andere Braut habe, wie er in Freude lebe und in drei Tagen zu heirathen gedenke. In dieser großen Noth öffnete sie eine der drei Nüsse, welche sie von ihrem Vater bekommen hatte, da war ein prächtiges silbernes Kleid drin, das zog sie an und ging zur Stadt und vor das Schloß, wo sie auf und ab spazierte. Die Braut schaute just zum Fenster hinaus und als sie das Kleid sah, sprach sie zu ihren Dienerinnen: „Geht schnell hinunter und fragt das Mädchen, ob ihr das Kleid feil sei, ich will es theuer bezahlen.“ Als die Dienerinnen zu der Jungfrau kamen und sie fragten, antwortete sie: „Geld und Gut will ich nicht, aber wenn ich eine Nacht in der Kammer des Prinzen schlafen kann, gebe ich das Kleid her.“ Das gefiel der Braut nicht, doch ersann sie bald einen Ausweg, denn das Kleid hätte sie um Alles nicht fahren lassen. Sie mischte dem Prinzen einen Schlaftrunk in seinen Wein, davon schlief er so fest, daß ihn ein Kanonenschuß nicht hätte aufwecken können. Als nun die arme verlassene Jungfrau in der Kammer war, wo er lag, da weinte und klagte sie die ganze Nacht: „Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe und wie du mich als eine Rose

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_295.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)