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und kam an das Schloß, worin die schöne Königstochter wohnte und mit Schmerzen auf ihn wartete. Als er Stimmen hörte, bat er ein paar Leute, die vorübergingen, daß sie ihn unter Dach und zu mitleidigen Menschen bringen möchten, da er gar schwach sei und so großen Hunger habe. Da führten sie ihn ins Schloß, wo alsbald Alle zusammenliefen, den armen Verstümmelten zu sehen, doch kannte ihn Niemand. Als die Königstochter aber dazu kam, erkannte sie ihn auf den ersten Blick und stürzte ihm laut weinend um den Hals; dann wusch sie ihn und pflegte sein mit großer Treue. Da war er wohl auch erfreut, doch nicht so recht aus ganzem Herzen, denn er gedachte seiner verlornen Augen und Hände und wie er nun keine wackern Thaten mehr verrichten könne. Darüber seufzte er oft tief und schwer, und besonders des Nachts, und wenn er an den Pathen gedachte. „Ach lieber Pathe, was hab ich gethan!“ rief er da einstens aus. Alsbald stand der Pathe neben ihm und sprach: „Nun, was hab ich dir gesagt? Aber weil du nur aus Liebe so unglücklich bist, will ich dir helfen.“ So sprach er, erzählte ihm Alles von seiner Mutter, dann führte er ihn an den Bach, der am Schloß vorüberfloß und wusch ihn mit dem Wasser. Davon wuchsen ihm die Augen wieder, daß er die hellen Sterne sah, und die Hände kamen ihm wie angeflogen. Das war eine Freude im Schloß! Am folgenden Tag wurde die Hochzeit mit Lust und Jubel gefeiert, dann fuhr das junge Ehepaar zu dem Vater der Königstochter und mit ihm zum Kaiser Joseph. Der fragte den Prinzen, wo er denn seine Mutter gelassen habe? Da mußte der Prinz wohl erzählen und

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_256.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)