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in Fig. 2 dargestellt. Die Blätter sind gewöhnlich etwas breiter als lang, aber dies war mit dem hier abgebildeten nicht der Fall. Die ganze obere Fläche ist mit Drüsen-tragenden Filamenten oder Tentakeln, wie ich sie der Art ihrer Thätigkeit wegen nennen werde, bedeckt. Die Drüsen wurden an einunddreissig Blättern gezählt, aber viele der letzteren waren von ungewöhnlicher Grösze und die durchschnittliche Zahl betrug 192; die gröszte Zahl war 260 und die geringste 130. Eine jede der Drüsen ist von groszen Tropfen einer äuszerst klebrigen Absonderung umgeben, welche, in der Sonne glänzend, Veranlassung gewesen sind, der Pflanze den poetischen Namen des Sonnenthau's zu geben.

Die Fühler auf dem mittleren Theile des Blattes oder der Scheibe sind kurz und stehen aufrecht und ihre Stengel sind grün. Nach dem Rande zu werden sie länger und länger und biegen sich mehr nach auszen; ihre Stengel werden dabei nach und nach purpurn. Die am äuszersten Rande springen in derselben Ebene mit dem Blatt vor, oder sind, noch gewöhnlicher, beträchtlich zurückgebogen. Einige wenige Tentakeln entspringen von der Basis des Stengels oder Blattstieles, und diese sind die längsten von allen; manchmal erreichen sie beinahe die Länge von 1/4 Zoll. Auf einem Blatte, welches im Ganzen 252 Tentakeln trug, verhielten sich die kurzen Fühler auf der Scheibe mit grünen Stielen der Zahl nach zu den längeren in der Nähe des Randes stehenden und den ganz randständigen- mit purpurnen Stielen wie neun zu sechszehn.

Ein Tentakel besteht aus einem dünnen geraden haarähnlichen Stiel, der an der Spitze eine Drüse trägt. Der Stiel ist etwas abgeplattet und wird von mehreren Reihen verlängerter Zellen gebildet, die mit einer purpurnen Flüssigkeit oder körnigen Substanz gefüllt sind[1]. Jedoch findet sich dicht unter den Drüsen der längeren Tentakeln eine schmale Zone und nahe ihrer Basis eine breitere Zone von einer grünen Färbung. Spiralgefäsze, von einfachem Gefäszgewebe begleitet, zweigen sich von den Gefäszbündeln in der Scheibe des Blattes ab und laufen durch alle Tentakeln hinauf in die Drüsen.

Mehrere bedeutende Physiologen haben die homologe Natur dieser Anhänge oder Tentakeln erörtert, das heiszt, ob sie als Haare (Trichome) oder Verlängerungen des Blattes betrachtet werden sollten. Nitschke hat bewiesen, dasz sie alle die Elemente, welche zu der Scheibe des Blattes gehören, in sich schlieszen; und die Thatsache, dasz sie Gefäszgewebe


  1. Der Angabe Nitschke's zufolge ist die purpurne Flüssigkeit das Resultat einer Metamorphose des Chlorophylls. Mr. Sorby hat die färbende Substanz mit dem Spectroscop untersucht; er theilt mir mit, dasz sie aus der gewöhnlichsten Art Erythrophyll besteht, welche häufig in Blättern mit niederer Lebensfähigkeit und in solchen Theilen, wie Blattstielen, gefunden wird, die die Functionen eines Blattes in einer sehr unvollständigen Art ausführen. Alles, was daher hierüber gesagt werden kann, ist, dasz die Haare (oder Tentakeln) so gefärbt sind wie Theile eines Blattes, welche ihre gehörigen Verrichtungen nicht vollziehen.


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Charles Darwin: Insectenfressende Pflanzen. Stuttgart 1876, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Darwin_Insectenfressende_Pflanzen_004.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)