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erst 289/90. Zwingend ist diese Annahme freilich nicht, da die Processe sich an die Schatzung, welche ihre Ursache war, ja nicht ganz unmittelbar anzuschliessen brauchten. Dagegen muss folgende Verordnung gleich nach dem Abschluss des Census erlassen sein: Cod. Just. XI 55, 1: Exemplum sacrarum litterarum Diocletiani et Maximiani AA. ad Charisium. Ne quis ex rusticana plebe, quae extra muros posita capitationem suam detulit et annonam congruam praestat, ad ullum aliud obsequium devocetur neque a rationali nostro mularum fiscalium vel equorum ministerium subire cogatur. Sine die et consule. „Das Landvolk, das seine Steuererklärung abgegeben hat und nun die entsprechende Kornsteuer bezahlt,“ so kann man sich nur ausdrücken, wenn die Zeit der Steuererklärungen erst ganz kürzlich zu Ende gegangen ist und das Steuerzahlen eben erst begonnen hat. Die Urkunde ist nicht datirt, aber der Charisius, an den sie gerichtet ist, findet sich am 10. Mai 290 als Praeses Syriae genannt[1]. Dies hindert freilich nicht, sie schon in’s Jahr 288 zu setzen; denn warum sollte jener Beamte nicht auch schon damals die Statthalterschaft von Syrien oder irgend eine andere bekleidet haben? Gleichwohl wird man es kaum als Zufall betrachten können, dass von den drei Verordnungen, welche dieses Census erwähnen, zwei das Jahr 290 ausdrücklich nennen und die dritte sehr bestimmt auf das gleiche Jahr hinweist.

Hierzu kommt noch ein Zweites. Anfang 286 hatte sich der Cäsar Diocletian’s eigenmächtig zum Augustus ausrufen lassen, und noch Jahre nachher blieb das Verhältniss zwischen den Mitregenten sehr gespannt, so dass ein gedeihliches Zusammenwirken beider Reichshälften zu einer grossen organischen Reform kaum zu erhoffen war. Erst auf dem Congress zu Mailand im Winter 288/89 versöhnten sich die Kaiser wieder[2], und höchst wahrscheinlich hat diese Zusammenkunft ihnen auch die Gelegenheit geboten, die Neuerungen, welche in Verfassung und Verwaltung des Reiches nöthig schienen, zu besprechen und gemeinsam vorzubereiten. Wenn also jene drei Urkunden darauf hinweisen, dass im Jahre 289 der erste Census, der nach den Normen der Capitatio abgehalten wurde, seinen Anfang nahm,

  1. Cod. Just. IX, 41, 9.
  2. Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I S. 26.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_286.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)