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Die zweite Seite der Gesandtenthätigkeit geht auf die Beobachtung der innern und äussern Vorgänge seines erreichbaren Bezirks; von Humboldt’s eifriger Thätigkeit dafür legen seine Berichte Seite für Seite Zeugniss ab.

Und so bleibt denn als letzte und wichtigste Frage: hat er die Politik, die Absichten des Hofes, bei dem er accreditirt war, durchschaut?

Metternich’s Politik in den Jahren 1810–13 war bedingt durch die innere Misère des Staats und durch das berechtigte Misstrauen gegen Russlands Tilsiter und Orientalische Politik. Mit Frankreich wünschte er freundlich, aber nicht abhängig zu stehen; der Wunsch, das Europäische Gleichgewicht herzustellen, war gewiss vorhanden, aber man gab sich in Wien nach den Schlägen der letzten Jahre wenig der Hoffnung hin, dass es gelänge, das Uebergewicht Frankreichs zu brechen, zumal dann immer die Gefahr drohte, dass Russlands Suprematie an dessen Stelle träte. Zu Preussen war Metternich’s Verhältniss eine Zeitlang entschieden zweideutig: bis zum Russischen Feldzug sah er diesen Staat als auf den Aussterbeetat gesetzt an. Er glaubte, über kurz oder lang würde Napoleon auch ihn zerstückeln und wollte sich seine Beute daran sichern. Der Untergang der grossen Armee, die innere Kraftentwicklung Preussens und sein Verhältniss zu Russland liessen in Metternich den Gedanken an die Möglichkeit von Preussens Untergang verschwinden, von jetzt an verfuhr er ehrlich, wenn auch in der Deutschen Politik zurückhaltend und hier schon die Schädigungen vorbereitend, die er Preussen auf dem Congress beibrachte.

So gestaltet sich das Bild von Metternich’s Absichten auf Grund des reichlichen, jetzt zugänglichen Materials; im ganzen hat auch Humboldt die Grundzüge des Verhaltens anerkannt, höchstens, wie wir sahen, nahm er in der Zeit vor der Russischen Katastrophe Metternich’s Absichten auf Schlesien zu leicht auf. Seine eigenen Tendenzen hinsichtlich Preussens waren: Unabhängigkeit so lange wie möglich, und innere Consolidirung in der Zwischenzeit; als es unvermeidlich wurde: Allianz mit Frankreich; als es möglich wurde: Abstreifen dieser Fesseln. Dabei war er immer auf’s lebhafteste und, wie die Zukunft zeigt, nicht grundlos besorgt ebenso vor Russlands ausgreifenden Absichten wie um die zukünftige Stellung seines Staats in Deutschland. Wenn er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_150.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)