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Charakterisirt er gelegentlich so die leitenden Persönlichkeiten, so hat er aus Metternich’s Charakter, man möchte fast sagen, ein Studium gemacht. Er kommt immer wieder darauf zurück. Er nennt ihn, wie früher erwähnt, einen schwer zu durchschauenden Menschen, dessen Haltung immer ausserordentlich klug und vorsichtig sein würde, den aber gerade seine Vorsicht zwingen würde, sich von zwei Seiten zu decken, und der so sicher seiner Art, die Geschäfte zu leiten, sei, dass er glauben würde, immer Herr derselben zu sein. Er verstehe vortrefflich zu verbergen, was in ihm vorgehe; er liebe zu glauben, was er wünsche; er liebe es, sich gehen zu lassen, ohne entschieden Partei zu nehmen; er halte sich für ein besonderes Talent, zu zaudern, die Momente des Ausbruchs zu vermeiden oder hinauszuschieben. Allerdings, meint Humboldt, werden diese Künste nur so lange wirksam sein, wie Russland und Frankreich noch nicht offen handeln wollen; von dem Augenblick an, den Napoleon z. B. für passend halten würde, Oesterreich sich zu verbinden, würden die Künste versagen[1].

Wenige Monate nach seinem Eintreffen in Wien entwarf Humboldt eine ausführliche Charakteristik des leitenden Staatsmannes, der nach seiner Ansicht grossen Einfluss besitze und noch lange besitzen würde[2]. Er hält es für unmöglich, Metternich’s wahren Charakter zu entziffern und vorauszusagen, was er je nach den Umständen thun werde. Da er in Berlin hinlänglich gekannt sei, brauche er nicht zu sagen, dass er äusserst kalt und zurückhaltend sei, wenn er es sein will, daneben einer offenbaren Leichtigkeit und natürlichen Neigung zu plaudern und zu erzählen nachgebe. Er besitze unbedingte Herrschaft über sich selbst, scheine sich niemals einer Empfindung hinzugeben, und sein Verhalten könne darum nur auf die Berechnung seines Verstandes gegründet sein. Am liebsten eifert er gegen Aufregung und Begeisterung. Mit diesem Charakter sei er der Nachfolger eines Mannes geworden, der sich in seinen eigenen Kräften verrechnete, stets nur dem Impuls seiner Empfindungen folgte, sich rückhaltslos einer aus noblen und loyalen Grundsätzen entspringenden

  1. Berichte vom 26. December 1810. 2. Januar, 2., 6. Marz, 8. Mai 1811.
  2. Bericht vom 17. Februar 1811. Da Häusser 3, 483 ihn ganz wiedergibt, genügt hier die Hervorhebung einiger Punkte.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_100.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)