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den Kaiser nicht präoccupiren, da sein Verbleiben im Amte dringend zu wünschen sei.

Diese Auffassung von der für Oesterreich allein richtigen Haltung hatte sich Humboldt schon beim ersten Einblick in die trostlosen finanziellen und militärischen Verhältnisse, in die Kämpfe der Minister unter einander, besonders der Grafen Wallis und Zichy, in die ganze innere Misère gebildet, ehe er noch Metternich gesprochen hatte. Einige Wochen später (17. October) äussert er sich schon deutlicher und eingehender über die wichtigsten Fragen, die zur Discussion standen. „Es scheint natürlich“, erklärt er, „für die Politik Frankreichs, bevor es zum offenen Bruch mit Russland kommt, heimlich Schritte thun, um ihm Verlegenheiten zu bereiten und die anderen Mächte zu entfremden!“[1] Auf dieses Ziel hin hat es Russland im Tilsiter und Wiener Frieden Vortheile zugesichert. Frankreich kann kein anderes Interesse haben, als den Russischen Einfluss in Europa gleich Null zu machen, und dieses Ziel auch ohne offenen Krieg zu erreichen. Bis jetzt ist wohl Oesterreich noch keine Verpflichtung eingegangen, die Russlands Besorgniss zu erregen braucht. Ich glaube auch, es weist eine solche Verpflichtung zurück; es wird wahrscheinlich im Falle eines Bruches neutral bleiben wollen und als plausibeln Vorwand die Reduction seiner Armee anführen. Die Empfindlichkeit des Wiener Hofes gegen Russland ist fast auf das Aeusserste gestiegen, und die geringe Energie in der Consolidirung der inneren Kräfte lässt befürchten, dass der Wiener Hof den Absichten Frankreichs gegen Russland kein grosses Hinderniss in den Weg legen wird. Dringend wichtig wäre es, Russlands Frieden mit der Pforte zu fördern, und sehr wenig weise ist seine Politik, die Kräfte zu zersplittern und den hiesigen Hof zu verstimmen – für eine nahezu überflüssige Eroberung[2]. Würde Russland Oesterreich grosse Vortheile für seinen Handel und für seine Unterthanen in der Moldau und Walachei bewilligen, so könnten die Interessen beider

  1. Vgl. auch Bericht vom 29. September 1810: „Je sicherer oder weniger sicher Frankreich der Gefühle Russlands sein wird, desto mehr oder weniger wird es daran arbeiten, Oesterreich an sich zu ziehen und mehr oder weniger gewissenhafte Haltung diesem gegenüber beobachten“.
  2. Vgl. den Brief Friedrich Wilhelm’s III. an Kaiser Alexander vom 7. April 1811 bei Duncker S. 347.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_085.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)