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vor dieser knieend Heinrich IV., und zwar den König nicht im Büssergewande, nicht unbeschuht, sondern an den Füssen wohl bekleidet. So vermag ich diese Scene eben durchaus nicht in die vom Papste so fest bezeugten drei Busstage zu verlegen; sondern sie scheint mir nothwendig die Ansetzung in einen früheren Moment, also vor jenen drei Tagen, in der Zeit der Verhandlungen, die allerdings fruchtlos verliefen, zu fordern[1]. Der spät schreibende Donizo hat eben hier die Dinge verschoben, wenn er auch Manches aus dem Zusammenhang recht gut gekannt haben mag, was ich Holder-Egger völlig zugebe. Aber noch etwas, aus Donizo’s eigenem Textzusammenhang, kommt hinzu. Ist es nicht recht auffallend, dass der Verfertiger der Verse zwischen v. 105, wo die Erwähnung der Verhandlungen, allerdings schon mit Hereinziehung des Erfolges derselben, schliesst, und v. 107, wo die Versöhnung mit Gregor VII. einsetzt, die Nothwendigkeit fühlte, der grossen Kälte zu gedenken: Solitoque nivem mage frigus per nimium magnum Janus dabat hoc et in anno (v. 105 u. 106)? Sollte das nicht die Andeutung sein, dass zwischen Verhandlung und Versöhnung die Scene lag, die zu den plantae nudae a frigore captae (v. 109) des Königs den Anlass gab? Holder-Egger übersah nicht, wie unbeholfen Donizo’s Verse sind. Bei aller Hölzernheit des Ausdruckes ist doch zu erkennen, dass hier dem Erzähler ein gewisser Zusammenhang vorschwebte.

So dürften Donizo’s Worte zum Theil eher gegen, als für Holder-Egger’s Auffassung der Busshandlung sprechen. Jedenfalls aber – so möchte ich schliessen – reichen sie nicht aus, Gregor’s VII. eigenes classisches Zeugniss abzuschwächen, selbstverständlich nur Gregor’s eigene Worte, nicht die durch Lambert hineingelegten unechten Farben und Auszierungen.

G. Meyer von Knonau.     
  1. Als ein gewisses Argumentum ex silentio könnte gegen die Annahme des Bussestehens durch Heinrich IV. der Umstand angeführt werden, dass nur die – vorangegangene – Scene in der Kapelle zwischen dem König, der Gräfin und dem Abte, nicht aber jener viel berühmter gewordene Vorgang unter den Bildern des Codex Canusinus geboten sei. Aber diese Bilder schildern überhaupt nur Persönlichkeiten des Hauses Canossa: Atto und Ildegarda, Bischof Gottfried, Thedald und Willa, dann Bischof Thedald, Bonifacius und Beatrix, Konrad, endlich Mathilde, sowie Ereignisse, an denen diese Persönlichkeiten betheiligt waren. Eine Begebenheit, an der nur der König allein – Mathilde nicht – theilnahm, entzog sich ganz dem Programme des Illustrators: so ist ja auch Gregor VII., trotz seiner engen Beziehungen zur Gräfin Mathilde, nicht vorgeführt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_363.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)