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während er in seinem ersten, kritisch-polemischen Theil nicht nur das Bild, das ich von der äusseren und inneren Entwicklung des Templerordens gegeben habe, fast in allen Hauptpunkten anficht und als unzutreffend zu erweisen sucht, gibt er in dem zweiten, positiven Theil dann seinerseits eine Darstellung, die sich von der meinigen doch nur in sehr untergeordneten Dingen unterscheidet. Weiterhin aber schränkt er das Lob, das er dem Orden ertheilt hat, nach allen Seiten hin mehr und mehr ein und lässt ihn im ganzen und grossen von denselben sittlichen Mängeln behaftet sein, die ich an ihm gefunden hatte. Einer selbstsüchtigen Politik hatten sich nach ihm die Templer ebenso schuldig gemacht, wie der ihnen anhaftende Ruf der Habsucht begründet war. Auch Stolz und Hochmuth sind ihnen darnach (S. 239/240) mit Recht zum Vorwurf gemacht. Ferner meint Gmelin, freilich ohne einen Beweis dafür erbringen zu können, Philipp der Schöne sei durch die Verbündeten, deren er nicht wenige im Orden gehabt, nicht bloss von der in dessen Innern herrschenden Uneinigkeit und Zwietracht genau unterrichtet gewesen, sondern auch „von den mancherlei sonstigen üblen Dingen, die in ihm umgingen und seine Reformbedürftigkeit bewiesen“ (S. 287).

Trotz dieser Zugeständnisse hat es nun aber bei Gmelin’s Standpunkt doch etwas höchst Ueberraschendes, dass er wegen der Masse der in diesem Punkte übereinstimmenden Aussagen dem Brauch der unanständigen Küsse wenigstens nicht alle und jede Wahrscheinlichkeit absprechen zu können erklärt, freilich nur um hinterher die vermeintliche Werthlosigkeit sämmtlicher in den Protokollen vorhandenen Eingeständnisse mit den bekannten Argumenten zu verfechten. Nur kann er in diesem Punkte selbst nicht zu einer bestimmten Meinung kommen, sondern wird bald von neuen Zweifeln heimgesucht. So findet er es (S. 365 N.) auffällig, dass die Cardinalcommission die Fragen in einer andern als der sonst eingehaltenen Reihenfolge stellt, und zwar nach den unanständigen Küssen meist früher fragt als nach der Verleugnung. „Sollte dies darauf hinweisen, dass dem Papst weniger die Verleugnung, woran er doch schwerlich glaubte, als jene Unsauberkeiten als das Wichtigste erschienen? und dass letzteren auch thatsächlich mehr Wirklichkeit zu Grunde lag?“

Man sieht, mit seinem sonst so zuversichtlich vertretenen Glauben an die Unschuld des Ordens kommt Gmelin gelegentlich

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)