Seite:De DZfG 1894 11 273.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zuliess, würde den Sitten jener Zeit nicht fremd sein. Und wer möchte wohl ferner sagen, ob nicht Männer, erbittert durch die ihnen von dem Leben im Orden bereiteten Enttäuschungen, gleichsam wundgedrückt von den Fesseln ihres unwiderruflichen Gelübdes und vielleicht inmitten der Zuchtlosigkeit des Ostens von allen religiösen Ueberzeugungen gelöst, gelegentlich den Gehorsam eines Neulings auf die Probe gestellt haben, indem sie ihn aufforderten, das Kreuz auf dem Mantel zu bespeien, das ihnen selbst ein Gegenstand des Hasses geworden war“.

Im Gegensatz zu seiner künstlichen Theorie von der Unschuld des Ordens trifft Lea mit dieser Aeusserung den Nagel auf den Kopf, zieht damit aber zugleich sich selbst den Boden unter den Füssen weg. Denn wenn jene anstössigen Aufnahmeceremonien überhaupt vorkamen, wo bleibt dann das Kriterium, um zu unterscheiden, in welchen Fällen die sie bekennenden Aussagen begründet, in welchen sie nur gemacht sind, um die Folter zu meiden und der dem rückfälligen Häretiker drohenden Todesstrafe zu entgehen? Aber selbst zugegeben, dass ein Theil der vorliegenden Bekenntnisse wirklich auf diese letzteren Motive zurückgeht, also der thatsächlichen Begründung entbehrt, ist mit dem Anerkenntniss der doch jedenfalls nicht ganz vereinzelten Uebung solcher Bräuche die These von der Unverdorbenheit, der kirchlichen Makellosigkeit und der sittlichen Tüchtigkeit des Ordens noch vereinbar?

Eine Genossenschaft, wo dergleichen vorkam und als berechtigter Brauch dem jüngern Nachwuchs zur Weiterübung übermittelt wurde, war ihrer Bestimmung völlig entfremdet und verdiente die Auflösung, mochte es in ihr auch noch Kreise geben, die sich von der in jenen Aufnahmeceremonien zu Tage tretenden Verwilderung frei gehalten hatten. Denn da man eine absolute Geheimhaltung solcher Verirrungen in einem enggeschlossenen, allein eingeweihten Kreise füglich kaum annehmen kann, so wird die moralische Verantwortung dafür, dass dergleichen möglich, dass es geduldet und nicht bei dem ersten Bekanntwerden unbarmherzig ausgetilgt wurde, heute so wenig wie damals irgend eines Advocaten Kunst von dem Orden als solchem abzuwälzen vermögen.

In einen ganz ähnlichen Widerspruch mit sich selbst wie Lea geräth auch Gmelin, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Denn

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_273.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)