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Hier mag gleich noch ein anderer Punkt zur Sprache gebracht werden, der damit zusammenhängt. Hat nämlich Gmelin Recht mit der Behauptung, dass zur Zeit ihres Untergangs den meisten Templern die Regel unbekannt war, so fällt alles in sich zusammen, was er S. 104 ff. und 117 ff. aus dem unanfechtbaren, löblichen Inhalt der Regel gegen die Möglichkeit der den Templern schuld gegebenen Verirrungen folgert. Die Regel hatte eben aufgehört, die Norm zu sein für das Leben der durch die Masse, namentlich der Servienten, ins Ungemessene gewachsenen Genossenschaft, man kannte sie vielfach gar nicht mehr, konnte folglich auch nicht nach ihr leben und wurde sich daher des Widerspruchs gar nicht bewusst, der zwischen ihr und der weithin eingerissenen Verwilderung bestand. Wohl aber ist es denkbar, dass man gewissen Worten und Wendungen aus der Regel, die in Uebung blieben, unter dem Einfluss der herrschenden Zuchtlosigkeit eine unziemliche Deutung gab.

Zu den Wendungen, welche, wie die Processacten erweisen, auch als die Regel im übrigen längst vergessen war, bei der Aufnahme neuer Genossen noch gebraucht wurden, gehört der Hinweis des Recipienden auf die schweren Pflichten, die er zu übernehmen habe, auf die harten Dinge, die er zu sehen bekommen werde (toutes les duretés aussi qui li sauront mostrer), und die Ermahnung, solche geduldig zu ertragen (qu’il souffrira volontiers tout, in den Processacten gewöhnlich in der Formel „oportere eum multa aspera et dura sustinere“ – z. B. Michelet, I, S. 416, 488 u. s. f.). Dass diese Worte ursprünglich in dem reinsten Sinn gemeint gewesen, in diesem auch vielfach festgehalten und später noch gebraucht worden sind, ist zweifellos. Aber ebenso kann man, steigt man einmal in diese unlautere Sphäre hinab, sich denken, dass bei Aufnahmen, die unter Uebung der nachmals incriminirten Bräuche stattfanden, die ersten aspera et dura, die ersten duretés, welche die neuen Genossen über sich ergehen zu lassen hatten, eben in dem Vollzug jener Bräuche bestanden.

Der Verrohung, in die wir einen grossen Theil des Ordens verfallen finden, würde diese Deutung einer aus der längst vergessenen ehrwürdigen Regel unverstanden noch fortlebenden Phrase nur zu gut entsprechen. Diese Auffassung erhält selbst durch Lea eine Stütze. Gibt man aber mit Lea die obscönen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_261.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)