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erstrebten oder ausbedungenen territorialen Vortheile etwas grösser oder etwas kleiner gewesen sind. Aber es lässt sich meines Erachtens ohnedies der Einwand nicht zurückweisen, dass wir hierüber nicht hinlänglich genau unterrichtet sind zu abschliessendem Urtheil. Der Gedanke, dass Umfassenderes, als wir zur Zeit wissen, in geheimen Abmachungen niedergelegt sein könnte, findet Bestätigung im Text des Vertrages mit Franz I. von Frankreich vom 20. Januar 1519. Da heisst es an der Stelle, wo von dem Schutz Frankreichs für Florenz, das Haus Medici und speciell Lorenzo, hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Besitzungen, die Rede ist, ausdrücklich: prout in alio tractatu plenius continetur[1].

Die Ziele seiner grosskirchenstaatlichen Politik, soweit sie innerhalb seines Machtbereichs sich befanden, hat Leo mit diplomatischer Feinheit und Falschheit, oder auch, wenn erforderlich und thunlich, mit rücksichtsloser Gewalt verfolgt. Letztere war selbstverständlich ausgeschlossen bei den Beziehungen zu den grossen Mächten, auch dann, wenn es sich um Italienische Fragen handelte. Und diese standen meist im Vordergrund der Betrachtung: denn es ist eine scharfsinnige Beobachtung Nitti’s, dass die Gleichgewichtsbestrebungen des Papstes, im Gegensatz z. B. zu denen des Cardinal Wolsey, nicht sowohl das Schicksal Europas als vielmehr wesentlich das der Apenninischen Halbinsel zum Ausgangspunkt gehabt haben.

Das zeigt sich schlagend bei seiner Stellungnahme in dem grossen Wahlkampf um die Kaiserkrone.

Als Maximilian I. raschen Anlaufs im Sommer 1518 diplomatische Siege erfochten hatte, die seinem Enkel Karl von Spanien die Würde des Römischen Königs zu sichern schienen, war Leo gerade tief und ernsthaft in seine Waffenstillstands- und Friedenspläne zum Behuf eines gesammt-christlichen Aufgebots wider den Halbmond verstrickt. Ob so ausschliesslich, wie Nitti[2] meint, mag dahingestellt bleiben. Genug, er war überrascht, als er von der Zusage der fünf Kurstimmen zu Gunsten Karl’s erfuhr, und zwar um so mehr, als er nach den

  1. Capponi, Storia della republica di Firenze (2a ediz.) III, p. 359.
  2. S. 107 f. Dass ihm darüber die Abmachungen Frankreichs mit dem Kaiser zu Cambray seit dem J. 1517 bis zum Juli 1518 entgangen sein sollten, ist mir wenig wahrscheinlich.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_101.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2023)