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finden mochte. Ein Beweis, dass dem so gewesen, lässt sich nicht führen, aber einzelne Anzeichen deuten darauf, dass Leo nicht gesonnen gewesen ist, seine Familienglieder als Fürsten ganz ihren eigenen Entschliessungen zu überlassen[1]. War dem so, so hängt dieser Zug mit einer anderen Richtung der Politik Leo’s zusammen, die ich, allerdings nur aus dem Zusammenhang der Vorgänge heraus und nicht nach ausdrücklichen Zeugnissen, zu ahnen meine. Ich vermuthe, dass die Vergrösserung des materiellen Einflusses des heiligen Stuhles ihm nicht ausschliesslich und gleichmässig zu allen Zeiten in der Form von Annexionen vor Augen stand. Ein Kirchenstaat in Mittelitalien von Meer zu Meer, vom Po bis eventuell zum Garigliano reichend, war weit schwerer zu begründen, als die Feststellung einer politischen Leitung zu Gunsten des Papstes über eine Mehrzahl von Gebieten. Wie das für Florenz feststeht, hat sich Leo noch im Höhepunkt seiner Erfolge im Jahre 1521 hinsichtlich Sienas damit begnügt. Eine solche, an den stark vergrösserten Kirchenstaat angelehnte Oberlehnsherrlichkeit, bezüglich diplomatische Leitung, des heiligen Stuhles hätte ohne Schwierigkeit auch die Nepotenstaaten mit umfasst. Man wäre dann stark genug gewesen, um, in Rechnung auf den unsterblichen Gegensatz der beiden Fremdmächte in Nord und Süd, jeder von ihnen die für Italien verderbenbringende Erhaltung von Heeren[2] ausserhalb ihres Territoriums und auf Kosten selbständiger Staaten zu wehren. Dieses, wenn ich so sagen darf, dritte Italien, neben einem durch Französischen und einem durch Spanischen Wink gefesselten, hätte dadurch der „Freiheit Italiens“ einen recht erheblichen Dienst geleistet[3].

Für diese Auffassung ist es gleichgültig, ob die durch Leo bei seinen internationalen Abmachungen für seine Anverwandten

  1. Abgesehen von der nachweislichen Abhängigkeit der Florentiner Regierung lässt sich anführen, dass er seinem Bruder Giuliano über Parma, Piacenza, Reggio und Modena (allerdings in zeitweis zum Theil zum Kirchenstaat unter Julius II. gehörigen Gebieten) nur ein vicariato o governo perpetuo zugedacht hatte. Guiccardini, Storia d’Italia, Bl. 349.
  2. Wie Ferdinand der Katholische fast unablässig gethan hatte. Vettori a. a. O. 299.
  3. Nach der von Nitti S. 38 durchgeführten Auseinanderlegung der Vorstellungen der Zeit würde es allerdings eher unter die Kategorie der servitù als die der libertà Italiens fallen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_100.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)