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die eigentliche Seele der Geschäfte, gewesen wäre. Doch hat hierbei der sonst über päpstliche Dinge wohl unterrichtete Gouverneur von Reggio und Modena die Verhältnisse wohl zu sehr von aussen gesehen. Es scheint sicher, dass in allen halbwegs wichtigen Fragen der Cardinal zuvörderst des Papstes Meinung einholte, und dass er somit in allem Wesentlichen ausführendes Organ war. Da beide sich, trotz mancher verschiedenen Begabungen, trefflich verstanden, nimmt es nicht Wunder, dass sie jezuweilen die beiden verschiedenen Gesichter der päpstlichen Politik angelegt hatten[1].

Für unsere Zwecke genügt das Gesagte, einerseits, um Leo’s Verantwortlichkeit annähernd festzustellen, andererseits, um in Erinnerung zu behalten, dass in Giulio’s Mittheilungen an vertraute Organe über des Papstes Ansichten und Entschlüsse zwar schwerlich ein Getäuschter, aber manchmal ein zur Erregung von Täuschungen Angestifteter das Wort haben könnte.

Unter diesen Umständen wird man dem Unternehmen Nitti’s, Schritt vor Schritt die Schleichwege einer solchen Politik nachweisen zu wollen, doch mit einem gewissen Bedenken begegnen. Aber selbst wenn man darauf verzichtet und nur die Ziele der Bestrebungen zu fixiren versucht, gibt es Schwierigkeiten eigenthümlicher Art. Nitti hat diese mit kühnem Griff angepackt und vielfach mit Erfolg bei Seite geworfen. Aber nicht allen seinen Aufstellungen und Folgerungen dürfte man ohne weiteres beitreten, so bestrickend und unentrinnbar vielfach seine Darlegungen zu sein scheinen.

Nitti hat, wenn ich die Sache mit einem aus dem Italienischen Volksleben entlehnten Bild klarer machen darf, bewiesen, dass Leo es liebte, stets zwei Vögel in seiner Pfanne zu braten, um, wenn etwa der eine in’s Feuer fiele, an dem andern sein Genügen zu haben. Aber in gar manchen Einzelfällen bleibt nach wie vor die alles tiefere Verständniss bedingende Frage, welchen er eigentlich am liebsten verzehrt haben würde, offen oder dunkel.

    Detail der Geschäfte nicht gekümmert, sondern sie nur im grossen angesehen habe, wobei es freilich darauf ankommt, wo man die Grenze gezogen denkt.

  1. Wie bei Nitti S. 316 zu lesen ist. Das Verhältniss Giulio’s zu seinem Herrn wird ausserdem bezeichnet von Minio und Gradenigo (Rel. Venet. VII, 64 u. 68).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_092.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)