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würden als früher. Und auf der anderen Seite wurde die ruhige Entwicklung dadurch sehr gefördert, dass Sigmund jetzt in der That die Kurfürsten ruhig gewähren liess; jetzt lenkte er in die Richtung ein, welche Lindner dahin charakterisirt, dass er die inneren Reichsangelegenheiten den Kurfürsten fast allein überlassen und sich nur die auswärtige Politik vorbehalten habe. Er hatte eben einsehen gelernt, dass er in Feindschaft mit dem Kurcollegium in Deutschland machtlos sei.

Dieses Verhalten des Königs sicherte den Kurfürsten die Ausübung der hauptsächlichsten usurpirten Rechte: dass sie zur Schliessung von Kurvereinen und Mitregierung im Reiche berechtigt seien, galt von jetzt an als ausgemacht und wurde bald als altes Herkommen angesehen. Sogar dem Wortlaute nach bildet die zweite Fassung des Binger Vertrages die Grundlage späterer Kurvereine[1].

Wenn auch die weitere Wirksamkeit des Collegiums immer dadurch behindert wurde, dass die theoretisch festgesetzte Einhelligkeit in allen Fragen thatsächlich recht oft nicht zu erzielen war, so wurden doch allmählich eine Reihe von weiteren Consequenzen aus dem Binger Principe gezogen und gewohnheitsrechtlich festgelegt. Zwar der Versuch der Kurfürsten, in die Europäische Politik nach Sigmund’s Tode durch ihre Neutralität während des Baseler Concils entscheidend einzugreifen, schlug fehl; aber desto erfolgreicher zogen sie die Schlussfolgerungen aus ihrer neuen Organisation auf den Reichstagen und bei den Vorverhandlungen zu den Königswahlen.

Auf den Reichstagen war es noch zu Sigmund’s Zeit die Regel, dass alle Fürsten gemeinsam die königlichen Vorschläge in Berathung nahmen[2]. Ueber vorher bekannte Anträge konnten sich nun die Kurfürsten, wenn sie gemäss dem Binger Vertrage gleichartig darauf antworten wollten, vor Beginn des Reichstages verständigen; wie aber, wenn eine unvorhergesehene Vorlage an die Versammlung herantrat? Dann mussten sich die Kurfürsten oder ihre Gesandten, um ein gleichlautendes Votum herbeiführen zu können, zunächst zu gesonderter Berathung und Abstimmung

  1. z. B. gleich des nächsten von 1446 s. Müller, Reichstagstheatrum I S. 305.
  2. s. Wendt, Reichstag unter Sigmund: S. 50 ff.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_087.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2023)