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die den Erdkreis mit blutigem Morde heimgesucht habe; die Hauptsache aber bleibt ihm die Habgier Theoderich’s:

fulget avaritia exornatis aurea membris,
spicula fert, quae saepe latus pulsare pigrescens
sufficiant solitisque accendant corda rapinis (V. 60 ff.),

und eben hierin verräth er den Boethius als seine Quelle. Als endlich Kaiser Ludwig an der Spitze seines Hofes aus dem Palaste tritt, wahrscheinlich um seinen Kirchgang anzutreten, begrüsst ihn der Dichter mit den Worten: In bonitate places aliique tyrannide gaudent (V. 98) und weiterhin: Ille umbram, tu corpus habes etc. (V. 104). Du lebst uns, jener ruchlose König gehört zu den Schatten! – Es kam Walafried offenbar darauf an, das Bild des frommen, gegen die Geistlichkeit oft verschwenderisch freigebigen Ludwig durch den Gegensatz zu dem als Häretiker allen bekannten, als das Urbild ungebändigter Habsucht vielleicht noch nicht genügend gewürdigten und doch einst von der urtheilslosen, unheiligen Menge hochgefeierten Theoderich um so heller erstrahlen zu lassen. Er wollte den Kaiser und seine nächste einflussreiche Umgebung, von welcher der schwache Ludwig bekanntlich in allen wichtigeren Entschlüssen abhängig war, für sich und die Interessen seines Klosters gewinnen. Als kluger Mann begrüsst er daher mit besonderem Pathos die stolze, ehrgeizige Kaiserin Judith und ihren damals erst sechsjährigen Sohn Karl, die aufgehende Sonne. Die drei älteren Söhne erster Ehe werden ziemlich kurz abgefertigt, ausführlicher aber wieder die Hofleute Hilduin, Einhard und Grimald gefeiert. Segenswünsche für die Regierung seines gnädigen Herrn und folgende schmähende Apostrophe Theoderich’s bilden den Schluss (V. 258 f.):

Tetrice stulte vale, quia te suadente canebam,
non mirum est vitiis nostram sordere camenam,
nec mihi materiam nec verba ostendere nosti.

Dass sich eine solche Dichtung überhaupt hervorwagen und auf Beifall rechnen konnte, beweist, wie sehr das Andenken Theoderich’s durch die herrschende Tradition religiöser Intoleranz und politischen Hasses bereits verdunkelt war.

Im Sinne Walafried’s charakterisiren nun alle mönchischen Geschichtsschreiber des Mittelalters den grossen Gothenkönig.

Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_030.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)