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hielt, den ja die Kirche zu ihren Märtyrern zähle. Daher bildete die consolatio des Boethius eins der wichtigsten Lesebücher in den mittelalterlichen Klosterschulen des Abendlandes. Der geistvolle König Alfred von England versuchte sich sogar an einer Angelsächsischen Uebersetzung derselben[1].

Aus inhaltlicher Uebereinstimmung und wörtlichen Anklängen hat schon Bock überzeugend nachgewiesen, dass die consolatio des Boethius es war, die in der Dichtung Walafried’s Strabo, des Mönchs von Reichenau, „de imagine Tetrici“ den Charakter Theoderich’s bestimmt hat[2]. Im Jahre 801 nämlich hatte Karl der Grosse das gewaltige Reiterbild Theoderich’s des Grossen, das einst vor dem Eingang des Palastes Theoderich’s zu Ravenna stand, von seinem dortigen Standpunkt entführt und vor seiner eigenen Pfalz zu Aachen wieder aufrichten lassen. Wir dürfen wohl mit Recht annehmen, dass für Karl nicht allein die Grossartigkeit der Statue, die uns der obengenannte Agnellus als Augenzeuge schildert[3], sondern in erster Linie die Sympathie und Hochachtung für seinen Germanischen Vorläufer bestimmend war. Missbilligung oder gar Angriffe auf das hehre Andenken des Helden werden sich in Karl’s nächster Umgebung kaum hervorgewagt haben. Anders wurde es unter seinem Sohne Ludwig dem Frommen. Volksthümliche Germanische Dichtungen, welche den wahren Theoderich sicherlich bewahrt hatten, waren ihm, dem rein kirchlich erzogenen Aquitanier, unverständlich und

  1. Ueberweg, Grundriss der G. der Philos. 7. Aufl. I, 332 f. II, 124 f.
  2. C. P. Bock, Die Reiterstatue des Ostgothenkönigs Theoderich vor dem Palaste Karl’s d. Gr. zu Aachen (in den JbbVAlthfreundenRheinlande Heft 50. 1871) S. 10 f. – Unverkennbar hören wir den Boethius in den Versen 42 f.:

    Infelix iam nullus erit, nisi desinit ipse
    Scire quod est, audens sese quod credere non est.

    Man vgl. Boeth. de consol. II, 5, eadem [sc. humana natura] tamen infra bestias redigatur, si se nosse desierit, u. 256 f.:

    Nunc tandem crevit felix res publica, cum sat
    Et reges sapiunt simul et regnant sapientes.

    Man vgl. consol. I, 4.

     Esset
    Publica res, inquit, tunc fortunata satis si
    Vel reges saperent, vel regnarent sapientes.

  3. Agnellus, lib. pont. eccles. Rav. c. 94 u. 95. (SS. rer. Lang. 337 f.)
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Schneege: Theoderich der Grosse in der kirchlichen Tradition des Mittelalters und in der Deutschen Heldensage. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Band 11 (1894), S. 18–45. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br., Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_028.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)