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Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17

der Paulus-Briefe bauen auch die Kirchenväter ihre Lehre auf, die sich, wie leicht erklärlich, vollständig mit der Juristenlehre deckt, nur dass als Erklärung das Schuldmoment eingefügt wird. Gott oder die „natürliche“ Ordnung der Dinge (d. h. doch so viel wie das Jus naturale), sagt Augustin[1], wollte nicht, dass der Mensch über seinen Nebenmenschen, der auch mit Vernunft begabt ist, herrschen solle, sondern nur über das unvernünftige Vieh; desshalb kommen in der Schrift vor Noah keine Sklaven vor, und erst als gerechte Strafe für die Sünde erscheint die Sklaverei; ein göttliches Gericht ist auch die Niederlage im Kriege, deren Folge (doch wohl nach Jus gentium) Kriegsgefangenschaft und Sklaverei ist; Gott theilt die Strafen aus nach seinem gerechten Rathschluss; freilich kann aber auch die Seele des Sklaven frei und der Herr ein Sklave der Leidenschaften sein. Kein heidnischer Römer hätte eine energischere Vertheidigung der Sklaverei schreiben können, als der fein gebildete Kirchenvater, dem die ganze Rüstkammer der classischen Wissenschaft von Aristoteles bis zu den Römischen Juristen zur Verfügung stand. Im Jenseits wird erhöht werden, wer sich erniedrigt hat; auf Erden aber muss die Menschheit die Ketten geduldig tragen, die sie zur Strafe für ihre Sünden belasten.

Auch die praktische Thätigkeit der christlichen Kirche entsprach ihren Lehren. Man kann ihr keinen Vorwurf daraus machen, dass sie sich innerhalb der socialen Ordnung hielt, die in jedem Zeitpunkt durch die historische Entwicklung geboten und die einzig mögliche war; andererseits hat sie sich dieser Entwicklung, die, wie wir gezeigt haben, schon grossentheils zur Ersetzung der unfreien durch hörige und freie Arbeit geführt hatte, als der Katholicismus herrschende Kirche wurde, und die zur Milderung, dann zur völligen Verdrängung der Sklaverei trieb, nicht entzogen und nicht entziehen können. Man soll der Kirche nicht zur Last schreiben, dass die Gesetzgebung mancher christlicher Kaiser weit weniger milde gegen die Sklaven war, als die der Antonine; auch nicht, dass Papst,

  1. De civitate dei 19, 15. – Augustin leitet hier auch nach dem Vorgange der Römischen Juristen servus von servare ab. – An die juristische Lehre knüpft auch die von Papst Gregor I. ausgestellte Freilassungsurkunde für Montana und Thomas (Reg. VI, 12) an.
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Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17. Mohr, Freiburg i. Br. 1894, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_012.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)