Seite:De DZfG 1894 11 010.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17

Man muss also die Ursachen für das Einschwinden der Sklaverei in wirthschaftlichen und socialen Vorgängen suchen; und namentlich jene beiden Grundlagen für die äussere und die innere Organisation der Gesellschaften des Alterthums: die Nichtanerkennung des fremden Rechtskreises und die Sklaverei können nur unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte betrachtet werden; sie stehen im engsten causalen Zusammenhange. Was man sonst zur Erklärung des Zurückgehens der Sklaverei beibringt, ist entweder unzutreffend oder kann als eines der Symptome jener von uns skizzirten grossen Entwicklung angesehen werden, ohne doch selbst als treibende Kraft wirken zu können.

Namentlich die Römische Gesetzgebung hat niemals die Sklaverei – ebensowenig wie jenen anderen Satz – principiell geleugnet; sie ist der thatsächlichen Entwicklung nicht vorausgeeilt, sondern folgte ihr nur in beträchtlichem Abstande nach. Die Gesetzgebung des Augustus ist sogar der Erhaltung der Sklaverei durch die Beschränkung der Freilassungen günstig gewesen, und man könnte vielleicht mit Segré in ihr einen, allerdings vergeblichen, Versuch sehen, die wirthschaftliche Entwicklung einzudämmen. Dagegen ist die Gesetzgebung der folgenden heidnischen Kaiser den Sklaven entschieden günstig, d. h. sie sucht die ärgsten Härten in der Behandlung der Sklaven zu mildern, ohne jedoch im entferntesten gegen die Institution der Sklaverei selbst anzukämpfen. Claudius schenkte den Sklaven die Freiheit, welche von ihren Herren wegen Alters oder Krankheit ausgesetzt worden waren; Hadrian verbot dem Herrn seinen Sklaven zu tödten; die Antonine eröffneten dem Sklaven einen Weg, auf welchem er sich den Bedrückungen seines Herren, wenn sich dieser seines Rechtes schlecht bediente, entziehen konnte, und erliessen mancherlei Bestimmungen in favorem libertatis. Man kann zweifelhaft sein, ob diese verschiedenen Verordnungen und Interpretationen der thatsächlichen Macht des Herrn gegenüber sehr wirksam geworden sind. Immerhin deuten sie auf eine menschlichere Auffassung vom Wesen der Sklaverei hin, die sich zuerst in der stoischen Philosophie und dann, wohl durch jene vermittelt, in der theoretischen Jurisprudenz Bahn brach[1]. Schon Seneca betont, dass der Sklave

  1. Vgl. zum Folgenden namentlich Schneider a. a. O. S. 37 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17. Mohr, Freiburg i. Br. 1894, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_010.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)