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Ein Hauptanstoss ist ja seit Ranke gewesen, dass der eben erst citirte Luther dem Breve bereits als haereticus declaratus gilt. Nach der angeführten Aeusserung des Vicekanzlers, des späteren Clemens VII., dürfte das nicht mehr so erstaunlich sein. Von einem förmlichen Urtheil, einer „Condemnation“, wie Ranke sagt, dürfte freilich um so weniger die Rede sein, als ja nur einer[1] der beiden in der Ladung vom Juli designirten Richter, der Auditor, Bischof Hieronymus von Ascoli, als Urheber jener Declaration im Breve bezeichnet wird. Aber wie man auch eine solche Glaubensentscheidung auffassen will, sie kann nach dem bereits Feststehenden keinen Grund zur Verdächtigung des Aktenstücks mehr abgeben. Vielleicht wird man folgenden Weg für gangbar erachten, um über die Schwierigkeit hinwegzukommen. Wenn man die Bannbulle von 1520 gegen Luther und seine Anhänger zu Hülfe nimmt, so zeigt sich, dass sie eine Unterscheidung kennt zwischen der Erklärung als Ketzer und der Verurtheilung: hereticos – – – fuisse et esse declarantes, eosdem, ut tales, horum serie condemnamus etc.[2]. Aleander selbst hat das wohl so aufgefasst, wenn er um den December 1520 erklärte, chel Santissimo, vero judice, havea judicato et condemnato[3]. Das nachweisliche Drängen Cajetan’s auf Verurtheilung Luther’s im Spätjahr 1518 darf allerdings nicht zur Bestätigung dieser Anschauung gebraucht werden. Denn man weiss ja jetzt, dass seit dem 7. October der Standpunkt des Breve in Rom so gut wie verlassen war.

Es sei gestattet, noch mit einem Wort auf den Sprachgebrauch des Schriftstücks einzugehen. Luther in seiner Postille zum Breve hat es für unmöglich gehalten, dass der Papst seinem Cardinallegaten den Titel dilecto filio (statt fratri venerabili) gegönnt hätte. Es ist das ein Irrthum, denn die Cardinäle wurden in dieser Beziehung gleich den Fürsten behandelt[4].

  1. Gegen den anderen, seinen literarischen Gegner, Sylvester Prierias, hatte das Monitorium dem Angeschuldigten ein Einspruchsrecht eingeräumt. So berichtet, wie Waltz a. a. O. 624 bemerkt hat, der spätere Pallavicini, hist. concil. Trident. I, 6. 7.
  2. Bullarium Romanum III, pars 3 p. 492 (vgl. S. 495).
  3. Brieger, Aleander und Luther S. 34.
  4. Es genügt hier zum Erweis auf das Instructionsbreve für Cajetan vom 5. Mai 1518 hinzuweisen, das die gleiche Titulatur hat. Raynald, annal. eccles. XX p. 256.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_012.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)