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man auf sich beruhen lassen. Aber nicht zu verkennen bleibt, dass der Angriff der Kirchenhistoriker eine Hauptstütze der gegnerischen Ansicht, nämlich die Unvereinbarkeit der „Verdammung“ vom 23. August mit dem in Rom eingeleiteten und fortgesponnenen Verfahren, höchstens gestreift, keineswegs erschüttert hat.

Während über die Inquisitionsprocesse der Dominikaner aus den verschiedensten Ländern eingehende Belehrung uns zu Theil geworden ist, hat sich in neuerer Zeit meines Wissens noch Niemand Mühe gegeben, die Formen zuverlässig festzustellen, unter denen in jenem Zeitraum in Rom selbst kirchliche Censuren erlassen wurden. Was wir wissen von dem Verfahren im Fraticellenprocesse, ferner wider Savonarola, Reuchlin und etwa noch gegen den Grafen Johann Pico von Concordia, reicht nicht hin[1], um von vornherein mit einem festen Massstab der Kritik an das aus dem Breve vom 23. August zu reconstruirende Vorgehen heranzutreten. Vielleicht werden sich im weiteren Verlauf gewisse, wenigstens negative, Kriterien ergeben: zunächst wird ein anderer Weg der Untersuchung einzuschlagen sein.

Wir gehen aus von dem merkwürdigen Paralleldocument, dem päpstlichen Breve an Friedrich von Sachsen[2] vom 23. August 1518, in welchem, bei gleichem Verlangen der Auslieferung Luther’s nach Rom, derselbe als anrüchig der Ketzerei und Sohn der Bosheit bezeichnet wird. Die Echtheit dieses Actenstücks ist zweifellos, nachdem das Concept sich im päpstlichen Geheimarchiv vorgefunden[3]. Dasselbe weist insofern Abweichungen vom gedruckten Text auf, als die Vorlage des letzteren erst durch Randzusätze und Drüberschreiben von Worten und Sätzen unter

  1. Wenigstens ist es mir nicht gelungen in den Handbüchern des Kirchenrechts oder in den Werken von Kober, Der Kirchenbann (1857); Lea, A history of the inquisition of the middle age; endlich C. Henner, Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) entsprechendes zu finden. Vielleicht werden andere in der Beziehung glücklicher sein.
  2. Löscher, Reformationsacta II, 443. Auch in M. Lutheri opera latina (Wittenb. 1555) I, 204.
  3. Ich habe es entnommen aus Brevia Leonis, armar. 44 tom. 5 p. 121. Nachträglich habe ich gefunden, dass aus derselben Quelle schon Evers, Luther II, 129, eine unvollständige und nicht ganz genaue Mittheilung gemacht hatte.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_005.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)