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Bruder Martin Zeit und Gedanken nicht gehabt hat, oder ob an Stelle kalter Gleichgültigkeit ein lebhafteres, wenn gleich leicht ablenkbares, Interesse zur Sache anzunehmen ist. Die Historie kann sich der Pflicht der Würdigung des persönlichen Elementes überhaupt nicht und am wenigsten in unserem Fall entschlagen.

Auf solchem Hintergrund muss auch die Untersuchung über die Echtheit eines einzelnen Breve zu dieser Angelegenheit für solche Bedeutung gewinnen, denen etwa Details über den Römischen Process wider Luther minder wichtig dünken mögen. Uebrigens handelt es sich um ein Actenstück, das seit langem im Mittelpunkt lebhafter Erörterungen der Historiker und Kirchenhistoriker gestanden hat, ohne dass man sich näher gekommen wäre. Vielleicht mit desswegen, weil man in der Hauptsache sich begnügt hat, die Stösse des Gegners kunstgerecht zu pariren, statt ihn selbst zu entwaffnen und die Waffe unbrauchbar zu machen.

Von folgendem Thatbestand ist auszugehen: Im Juli 1518 ist Luther durch den päpstlichen Fiscal wegen Verdachts der Ketzerei belangt und ihm seitens der vom Papst eingesetzten Richter die Ladung, binnen 60 Tagen sich in Rom zu stellen, zugefertigt worden. Dieses – verlorene – Actenstück ist am 7. August in den Händen des Wittenberger Professors gewesen. Während nun die gesetzte Frist noch nicht zur Hälfte verstrichen sein konnte, ist, wenn anders die Vertreter der Echtheit Recht haben, am 23. August von Rom aus ein weiterer Schritt in dieser Angelegenheit unternommen worden. An den Cardinal Thomas de Vio aus Gaeta, Dominikanerordens, der damals in Augsburg sich befand, um die Deutschen Stände aus allen Kräften zur Beisteuer für den von Leo X. mit wahrer Leidenschaft betriebenen Türkenkrieg zu entflammen, ist an genanntem Tag ein päpstliches Breve[1] ergangen, folgenden Inhalts: Weil Luther, in Missachtung der päpstlichen Güte, die bei der früheren Ladung väterlich nur Besserung bezweckt habe, neue Schriften mit neuen irrthümlichen und ketzerischen Behauptungen veröffentlicht hat, wird, zur Schonung der Schwachen und weil die Sache beim Papst tum ex fama tum ex facti permanentia notorisch und unentschuldbar sei, dem Legaten strengstens auferlegt, ohne Verzug

  1. Löscher, Vollständige Reformationsacta II, 437. – Kritische Gesammtausgabe II S. 23. Nach ersterem Abdruck citire ich im Folgenden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_002.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)