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immer ausschlaggebend sein werde. Das Wesentliche sei jedoch überall, zu wissenschaftlicher Selbständigkeit zu erziehen. Das sei das Hauptziel sowohl bei Ranke wie bei Waitz gewesen, die ausserdem der Individualität jedes Schülers freien Spielraum gelassen hätten.

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Auf das pädagogische Seminar ging Referent nur mit wenigen Worten ein, um andere Collegen zu Mittheilungen zu veranlassen. Ein solches pädagogisch-historisches Seminar, das wesentlich Vortragsübungen gewidmet war, bestand bekanntlich früher in München. Prof. Heigel berichtete von Erfahrungen wenig ermuthigender Art, zeigte sich aber wie auch sein College Prof. Grauert nicht abgeneigt, diese Uebungen in etwas veränderter Gestalt wieder aufzunehmen, besonders da Prof. Stieve und Prof. Meyer v. Knonau über günstigere Erfolge von ähnlichen Uebungen zu berichten wussten.

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Die Frage, ob lediglich kritische Uebungen oder daneben auch solche, die mehr die künftige Thätigkeit der Lehrer im Auge hätten, abgehalten werden sollten, bildete den Mittelpunkt der Erörterungen. Prof. Stieve warf die Frage auf, ob in erster Linie Forscher oder Lehrer ausgebildet werden sollten; er trat gegen die Züchtung von Specialisten, gegen die schon von Waitz beklagte Ueberfüllung der kritischen Seminare, bei der schliesslich die Docenten zu Grunde gingen, und gegen die Ueberschwemmung mit Dissertationen auf und verlangte, dass der Schüler in den Uebungen ein grösseres Thema ohne Specialstudien auf Grund der Literatur in grossen Zügen behandeln lerne. Uebungen dieser Art sind, wie der Referent erwähnt hatte, früher auch in Berlin abgehalten worden, jetzt aber dort wohl auch eingegangen. Der einseitigen Ausbildung von Specialisten und Doctoranden war freilich der Referent schon selbst, z. Th. mit den Worten von Waitz, entgegengetreten, und die übertriebene Entwicklung des Seminarwesens, bei der der Student schliesslich jeden Tag mit Uebungen besetzt hat, fand auch sonst energischen Tadel, – so u. a. durch Prof. Kaufmann; aber die von Prof. Stieve gegebene Formulirung des Gegensatzes, ob Forscher oder Lehrer auszubilden seien, wurde von verschiedenen Seiten als unzutreffend zurückgewiesen.

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Nicht vorzugsweise um die Schulung von „Forschern“ handle es sich im kritischen Seminar, sondern darum, dass der künftige Lehrer einmal in seinem Fache wissenschaftlich arbeiten gelernt habe und zu den Quellen hinabgestiegen sei; für die Ausbildung wissenschaftlich geschulter Lehrer seien die kritischen Uebungen nicht zu entbehren. Das machten in Uebereinstimmung mit Prof. Arndt u. a. gerade die Schulmänner wie Prof. Kropatscheck, Dir. Friedländer, Dir. Martens geltend. In besonderer Anwendung auf die Kirchengeschichte vertrat Prof. Kolde aus Erlangen einen ähnlichen Standpunkt. Zu selbständigem Urtheil solle der Studirende durch wissenschaftliche Arbeiten befähigt werden. Prof. Grauert verfocht zugleich noch lebhaft die Bedeutung der Seminare als Stätten wissenschaftlichen Forschens. In der engen Verbindung von Forschung und Lehre liegt der eigenthümliche Werth unserer Universitäten.

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Daneben wurden doch auch die von Prof. Stieve erhobenen Forderungen kräftig vertreten. Was neben der Einführung in die wissenschaftliche

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_166.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)