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gegenüber dem Staatsbewusstsein beanstandet. Besonders eingehend behandelte dieses Thema Ministerialrath Baumeister mit Bezugnahme auf die Mannigfaltigkeit der concreten Verhältnisse im Deutschen Reich.

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Ausserdem aber verwahrten sich die Redner dagegen, dass der Geschichtsunterricht eine politische Tendenz erhalte. Man muss zugeben, dass solche Tendenz mit den beiden mitgetheilten Martens’schen Thesen ihrem Wortlaut nach nicht nothwendig gegeben ist. Wenn nun trotzdem diese Frage in der Debatte des ersten Tages die Hauptrolle spielte, so lag das daran, dass Jedermann die Empfindung hatte, hinter diesem „Staatsbewusstsein“ stecke in Wahrheit doch die Politik, die Erziehung zu Mitgliedern der „staatserhaltenden Parteien“ im Sinne der jedesmaligen Regierung. Das schien nicht nur aus der früher von uns erwähnten Schrift des Referenten hervorzugehen, sondern es war trotz des theoretischen Protestes auch aus seiner Rede herauszuhören, wenn er, anschliessend an die hierin nicht glücklich formulirte Frage, dem „Gebildeten“ eine besondere Aufgabe im öffentlichen Leben stellte und für diese Aufgabe durch den Geschichtsunterricht vorbereiten wollte; es ergab sich diese Absicht ferner ganz klar aus einer ferneren These des Referenten, wonach im culturgeschichtlichen Unterricht „die Mittel und Wege zur Bekämpfung der heutigen Socialdemokratie auf dem Grunde des verantwortungsvollen Staatsbewusstseins gezeigt werden“ sollen. Es hatten auch nicht nur die Gegner des Referenten ihn so verstanden, sondern auch Prof. Böhtlingk fasste seine Forderungen so auf, da er vom Geschichtsunterricht die Waffen zur Abwehr der drohenden „Pöbelherrschaft“ verlangte.

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Gegen alle Versuche, dem Geschichtsunterricht auch in scheinbar harmloser Form solche Aufgaben zu stellen, wandten sich zunächst die beiden Referenten: in ruhig-sicherer, ein wenig sarkastischer Weise Prof. Dove, voll von warmem Enthusiasmus für die von allem Parteigeist rein zu haltende heilige Aufgabe der Schule Prof. Kaufmann, dann in scharf formulirtem Widerspruch gegen den Begriff des Staatsbewusstseins und gegen jede directe Erziehung für das staatsbürgerliche Leben Prof. Prutz. Ihnen folgten noch andere Redner. – Es waren besonders zwei Gesichtspunkte die geltend gemacht wurden: jede solche von aussen gestellte Aufgabe bringe die objective historische Wahrheit, die auch im Unterricht über allen anderen Rücksichten zu stehen habe, und die subjective Wahrhaftigkeit des Lehrers in Gefahr, und ausserdem sei die Hervorkehrung einer Tendenz pädagogisch verkehrt, sie wecke bei einem Theile der Schüler den Widerspruch, erziele also bei diesen das Gegentheil der gewollten Wirkung, und sie führe bei anderen auch zu Conflicten zwischen Schule und Haus. – Besonders lebhaft wurde unter dem Beifall der Versammlung die in Preussen thatsächlich erhobene Forderung bekämpft, dass der G.-Unterricht darauf angelegt werde zu zeigen, wie die Monarchie von jeher sich um das Wohl und die Hebung der arbeitenden Classen verdient gemacht habe.

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Diesen Ansichten, die am Vormittag den nahezu einstimmigen Beifall der Versammlung gefunden hatten, würde es nun entsprochen haben, wenn man die Thesen des Referenten abgelehnt, die des ersten Correferenten, vielleicht mit Aenderungen in Einzelheiten, angenommen hätte. Die Vormittags

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_158.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)