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die Thesen der drei Referenten in ihrem ganzen Umfang hier wiedergeben wollten. Es ist das um so weniger nöthig, als die Thesen, welche sich auf die zweite Frage bezogen, zwar vielfach in der Generaldiscussion berührt wurden, aber nicht zur Specialberathung und nicht zur Abstimmung kamen. Der Kampf in der Versammlung entbrannte, von Abschweifungen abgesehen, um die principielle Frage, ob dem Geschichtsunterricht eine besondere ausserhalb der rein historischen Belehrung liegende Aufgabe zu setzen und ihm damit eine bestimmte Richtung vorzuschreiben sei oder nicht.

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Der erste Referent, Dir. Martens, legte seinen Standpunkt in den beiden ersten Thesen folgendermassen dar: „1. Der Geschichtsunterricht wird seiner Aufgabe, für das öffentliche Leben vorzubereiten, gerecht, wenn es ihm gelingt, das Staatsbewusstsein als die allbeherrschende verantwortungsvolle Pflicht gegen den Staat zu lehren und zum unverlierbaren Besitzthum des Einzelnen zu machen.“ – „2. Diese allgemeine Aufgabe des Geschichtsunterrichts hat sich in zwei Richtungen zu erfüllen: a) in der des Verstandes als der intellektuellen Ausrüstung mit den zur Erzielung und Erhaltung des Staatsbewusstseins nöthigen historischen Kenntnissen und der Fähigkeit, sie nach diesem Ziele hin zu gebrauchen (historischer Sinn); b) in der des Herzens und der Gesinnung als der Erzeugung der Kraft und Bereitwilligkeit im Sinne der gewonnenen Erkenntniss zu handeln (politischer Sinn).“

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In der Rede, mit der er seine Thesen begründete, legte der Referent besonderen Werth darauf, das Staatsbewusstsein zu definiren und von der Vaterlandsliebe zu scheiden. Unter Staatsbewusstsein verstand Dir. Martens „das Bewusstsein der Rechte und Pflichten, welche der Staat gibt und fordert, gegründet auf eine eingehende Kenntniss vom Wesen des Staates, insbesondere des eigenen Staates, und entwickelt bis zur Kraft und Bereitwilligkeit demgemäss verantwortungsvollen Handelns“. Er wollte es geradezu mit dem Bewusstsein der Verantwortung identiiiciren; denn diese sei „das Bewusstsein unserer staatlichen Verpflichtungen“. Die Vaterlandsliebe könne durchaus passiv zu einer blossen Empfindung werden, das Staatebewusstsein nöthige zum Handeln. Dasselbe müsse das ganze Leben durchdringen, das ganze Bewusstsein des Einzelnen müsse Staatsbewusstsein werden; denn „nicht der Einzelne macht den Staat, der Staat macht den Einzelnen“. Politische Tendenzen lehne er ab, besonders den Vorwurf, als wolle er eine Störung unseres Verfassungslebens; aber allerdings sei er gegen parlamentarische Regierung und für ein starkes Königthum; dem öffentlichen Leben aber thue es Noth, ihm die vom Staatsbewusstsein erfüllten Gebildeten zuzuführen und dazu solle der Geschichtsunterricht dienen.

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Correferent Prof. Dove vertrat am entschiedensten den Standpunkt, dass der Geschichtsunterricht nur historische Bildung zu geben habe und damit seine erzieherische Aufgabe erfülle. Seine beiden ersten Thesen lauteten: „1. Der Geschichtsunterricht dient dem öffentlichen Leben hinlänglich durch die Lösung seiner eigenen Aufgabe: den Grund für eine historische Bildung des Einzelnen zu legen“. – „2. Hierzu gehört: a) historisches Wissen, d. h.: eine umfassende und sichere Kenntniss der wichtigen geschichtlichen Thatsachen in ihrem Zusammenhang; b) historischer Sinn, d. h.: die Gewöhnung,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_156.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)