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Wenn jeder grosse Schritt seine beste Zeit hat, so ist der Zeitpunkt der innigsten Uebereinstimmung und Liebe zwischen Regenten und Volk wohl mit Recht am geeignetsten, um wohlthätig für Jahrhunderte hinaus eine Verfassung festzustellen. Uns, den jetzt Lebenden, würde es zum ewigen Vorwurf von unsren Nachkommen gereichen, wenn wir diesen Augenblick (einen seltenen in der Geschichte) gleichgültig verscherzten und schwiegen um kleinlicher Rücksichten willen. Wir fühlen daher einen tiefen Drang, diese unsere Gefühle Euer Majestät zu Füssen zu legen mit der Ehrfurcht, die jenes hochherzige Versprechen erheischt. Allein auch über das Wie der Ausführung unterstehen wir uns unsere Ansicht Euer Majestät vorzutragen, ohne jedoch zu verkennen, dass nur in einem höheren Standpunkte die Richtigkeit desselben geprüft werden kann. Wir sprechen nicht von der Form und der Autorität der künftigen gesetzgebenden Versammlungen, denn nach der Menge der Verfassungen in den letzten 25 Jahren, die wir entstehen und vergehen sahen, und bei dem bestehenden Beispiel der Westeuropäischen Reiche kann es an guten Entwürfen hierzu und an einer genügenden Entwicklung derjenigen Verfassung, die wir bedürfen, nicht fehlen; sondern wir bemerken bloss einiges in Betreff des Umfanges derselben.

Preussen war gross in dem Kampfe mit Frankreich nicht durch das Räderwerk und Getriebe von Administrationsbehörden und deren Befehlen, so gut und zweckmässig dieselben an sich gewesen, sondern durch die Einheit des Geistes und Willens der ganzen Nation. Wird dieses immer so sein? Wer bürgt dafür? Lose hängen zum Theil die einzelnen Provinzen der Monarchie zusammen. Nicht eine gemeinsame Verfassung, nicht das gemeinsame angestammte Regentenhaus bindet sie zusammen, und die Militärgewalt langt nicht in den Fällen aus, wenn es auf das Gemüth ankommt. Weder Eis, noch Wüsten, noch Meere decken uns einen Rücken. Von allen Seiten her sind wir verwundbar. Andere Interessen, andere Gefahren hat jetzt noch der Bewohner an der Memel und der an dem Rhein. Alles das wird jedoch nicht eher factisch sichtbar, als bis ein Krieg entsteht – und dann zu spät. Der Regent ohne Verfassung hat keinen zuverlässigen Weg, die Gesinnung seines Volkes zu erfahren, keinen, um mit sicherem Erfolg auf dasselbe zu wirken. Ein einziger, unpopulär unternommener Krieg (die Motive dazu mögen von der reinsten Politik eingegeben sein) setzt bei der Immensität der Massen, mit der jetzt die Krieg führenden Mächte vorschreiten, die grössten Provinzen in Gefahr, wie von einem Lavastrom überschwemmt, und das ganze Königreich in Gefahr, erschüttert zu werden. Nur die Bewaffnung des Volkes macht Preussen unüberwindlich. Aber ein Volk ohne

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_088.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)