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ward Helena unter den Händen jener Autoren zu einer Britischen Fürstentochter, eine Sage, welche, wie Gibbon[1] mit Recht bemerkt, „in den finsteren Jahrhunderten“ entstand. Noch 1702 hat Joachim Weidner ein ganzes Buch darüber geschrieben: „Constantinum honeste et ex legitimo matrimonio natum“ und sogar 1832 ist in einer separat erschienenen Biographie der Helena[2] die Abkunft derselben von einem Englischen König Coilus oder Coil allen Ernstes behauptet und betreffs der Geburtsstätte Constantin’s nur die Wahl gelassen zwischen den beiden Städten Yorick und Colchester. Und doch hat schon der im 13. Jahrhundert lebende Jacobus Aquensis in seiner zwar an Fabeln reichen, aber für die Geschichte Italiens nicht werthlosen Chronik nach einer Zusammenstellung sehr verschiedener Berichte über den Stand der Helena mit vollem Recht die hohe Abkunft derselben bezweifelt[3] und sicherlich müssen wir Manso[4] und Seeck darin zustimmen, dass Helena eine Person von niederer Geburt gewesen sei. Dass Helena weder dem Adel der Treverer noch dem Englands angehörte, kann nach dem klaren Zeugniss des Ambrosius nicht bezweifelt werden; denn derselbe ging gewiss nicht darauf aus, die christliche Mutter eines christlichen Kaisers herabzuwürdigen. Nach diesem glaubhaften Zeugniss war Helena eine stabularia, d. h. eine Gastwirthin, und Constantius lernte sie als solche auf einer seiner Reisen kennen. Constantius hat sie dann zu wilder Ehe mit sich genommen. Ein Verhältniss dieser Art galt, wie Seeck[5] in dieser Zeitschrift ausgeführt hat, bei einem Weibe niederen Standes keineswegs für schimpflich. Nach Recht und Volksanschauung wurde ihre Frauenehre dadurch nicht verletzt; war doch die Untreue der Concubine, wie die der ehelichen Gattin, sogar gesetzlich strafbar.

Dass die Jugendgeschichte des grossen Constantin, auch abgesehen von seiner Geburt, Anlass zu allerhand sagenhaften

  1. Gibbon, History of the decline and fall of the Roman Empire T. II, p. 429 nt. 8. Vgl. Manso, Leben Constantin’s des Grossen S. 9 f.
  2. Leben der heiligen Helena. Köln und Aachen 1832. S. 14.
  3. Monumenta histor. patr. (Augustae Taurinorum) Scriptorum tom. III, p. 1389 c.
  4. Manso, Leben Constantin’s des Grossen S. 289; vgl. auch Keim, Der Uebertritt Constantin’s des Grossen zum Christenthum S. 69.
  5. Seeck, Die Anfänge Constantin’s des Grossen in DZG VII, 82.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_005.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)