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Forschung durch Anwendung von Bestimmungen, die gegen politische Vergehen gerichtet sind, zu beschränken. Jetzt hat der „Fall Harnack“ weite Kreise in Aufregung versetzt und auf die Gefahren aufmerksam gemacht, welche von einer ändern, der kirchlichen Seite her, diese Freiheit noch immer bedrohen. Der thatsächliche Hergang darf hier wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Prof. H.’s angegriffene ursprüngliche Erklärung findet man in der Zeitschr. „Christl. Welt“ 1892 Nr. 34. Eine kurze Darlegung der Ergebnisse der histor. Forschung über das Apostolicum bietet seine lesenswerthe kleine Schrift: „Das apostol. Glaubensbekenntniss“ (Berlin, Haack).

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Das Dogmatische der Angelegenheit, die Frage, ob das Apostolicum mit seinem „empfangen vom heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria“ ein Ausdruck des Glaubens jetziger Mitglieder der evang. Kirche sei, berührt uns ja hier gar nicht; aber leider hängt diese Seite der Sache auf’s engste mit der wissenschaftlichen, rein histor. Frage zusammen, wann und wie das Apostolicum entstanden ist und ob es den ursprünglichen Glaubensinhalt der christlichen Lehre, den ja alle Confessionen zu besitzen sich rühmen, getreu wiedergibt. Wegen dieses Zusammenhanges steckt in dem Anspruch kirchlicher Kreise auf Respectirung gewisser Dogmen stets auch mehr oder minder deutlich das Bestreben, der histor. Forschung oder doch der Mittheilung ihrer Ergebnisse Fesseln anzulegen.

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Wer histor. Erscheinungen einigermassen unbefangen gegenübersteht und sich nicht selbst durch irgend ein kirchliches Bekenntniss gebunden fühlt, wird sich ja allerdings, auch wenn er als Historiker gewöhnt ist, ein Verständniss für fremdartige Anschauungen zu suchen, nur schwer in die Gedankenwelt jener Kreise versetzen können, in denen diese, für Historiker so harmlose, Frage für einen „am Verständniss der Kirchengeschichte gebildeten Christen“ oder überhaupt für einen Gebildeten noch heutigen Tages ein anderes als rein historisches Interesse hat. Aber dieses schwer begreifliche und so leicht vergessene Factum ist nun einmal vorhanden, und daraus werden sich immer wieder Conflicte ergeben, so lange freie wissenschaftliche Forschung und confessionell gebundener Unterricht zusammengekoppelt sind, mit anderen Worten, so lange wir an den Universitäten confessionelle theologische Facultäten haben, statt dass der Staat der Kirche die Ausbildung ihrer an die Dogmen gebundenen Diener überliesse, den wissenschaftlichen Betrieb der theologischen Disciplinen aber, soweit sie überhaupt Wissenschaften sein wollen und sein können, von den confessionellen Fesseln befreite.

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Es handelt sich dabei ja ganz vorzugsweise um wesentlich historische Fächer, und die Geschichtswissenschaft ist desshalb an einer Lösung der jetzigen Zwangsehe zwischen confessioneller Theologie und Wissenschaft dringend interessirt. Wer beim Studium der Kirchengeschichte von wirklich wissenschaftlichem Geist erfüllt ist, kann nicht vor der Forderung Halt machen, dass seine Ergebnisse mit irgend welchen, auch noch so weitherzig gedeuteten Dogmen einer bestimmten Kirche in Uebereinstimmung sein sollen; und doch ist eine derartige Forderung die nothwendige Folge des jetzigen Verhältnisses, wo gewisse Kirchen genöthigt sind, ihre Geistlichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_364.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2023)