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der Geissler, führte man auf herrschende Constellationen zurück. Die lebhafte Polemik mancher Geschichtschreiber gegen solche Erklärungsversuche weist gerade darauf hin, dass die Zahl der Gläubigen eine nicht geringe gewesen sein wird. Dagegen nimmt der Westphälische Dominicaner Heinrich von Hervord eine ausführliche astrologische Begründung der Geisslerfahrten nebst Horoskop in seine Chronik auf. „Im Jahre des Herrn 1349,“ so beginnt diese von einem Münsterischen Schulmeister stammende Erörterung, „am 12. Tag des Monats März in der Nacht des heiligen Gregorius zur dritten Stunde nach Mitternacht trat die Sonne in das Zeichen des Widders“; diese Constellation aber „vervielfältigt die Religionen und Secten“[1].

Spätere Epidemien boten der völlig mit Astrologie durchsetzten medicinischen Wissenschaft immer neuen Anlass, die Uebereinstimmung dieser irdischen Vorkommnisse mit den Bewegungen der Gestirne, ihren kosmischen Ursprung aufzuweisen. Ein so strenggläubiger Fürst wie Karl V. von Frankreich lebte ganz in solchen Ideen; er gründete unter Zustimmung der Universität Paris ein mit astronomischen Büchern und Instrumenten ausgestattetes astrologisch-medicinisches Colleg. Vergebens erhob der geistreiche Nicolas Oresme († 1382), eine Zierde des Französischen Clerus und der zeitgenössischen Wissenschaft, seine Stimme gegen den Missbrauch der Astrologie und ihre verderbliche Beliebtheit bei den Fürsten und Grossen; vergebens kämpfte an seiner Seite ein berühmtes Mitglied der Universität, der selbst astronomisch geschulte Heinrich von Langenstein († 1397), gegen die „Conjunctionisten“ und ihr unwissenschaftliches und irreligiöses Treiben; vergebens verdammte die Pariser theologische Facultät im Jahre 1398 jenen astrologischen Determinismus, der den Einfluss der Himmelskörper nicht auf die Körperlichkeit des Menschen beschränkt, sondern auch auf das seelische und geistige Leben ausgedehnt wissen wollte[2]. Eben diese Ansicht, dass alles in dieser Welt, Leben und Tod, jede Handlung der Menschen durchaus

  1. Henricus de Hervordia, Chronicon (ed. Potthast 1859), p. 282 ff.
  2. Vgl. Ch. Jourdain, Nic. Oresme et les astrologues de la cour de Charles V, in der Revue des questions hist. XVIII (1875), 136 ff.; O. Hartwig, Leben und Schriften Heinrich’s von Langenstein Marburg 1858) I, 25 ff.; II, 26 f.; d’Argentré, Collectio iudiciorum I, 2, 154 ff., wonach die Angabe bei Lea III, 438 zu berichtigen ist.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_056.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2023)