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Werken antiker Geschichtschreibung gleichkomme, sondern auch, besonders im Punkte der Quellenforschung, eben das leiste, was gegenwärtig als Aufgabe eines vollkommenen Historikers betrachtet wird, lag auch der Skizze zu Grunde, welche Kaibel im Aprilhefte von „Nord und Süd“ von der Bedeutung des neuen Fundes gab. Er fand damals, dass Aristoteles durch diese Schrift sich als einen Historiker ersten Ranges bewähre. Ein halbes Jahr später urtheilte Kaibel anders. In der Vorrede der von ihm und von Wilamowitz-Möllendorf besorgten Ausgabe wird es als absurd bezeichnet, an den alten Autor den Massstab anzulegen, an welchen die moderne Wissenschaft der Geschichte uns gewöhnt habe.

Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, dass sich die Ansichten über die Schrift vom Staate der Athener in ähnlichem Sinne ändern, wie sie sich schon über manches Werk der alten Literatur geändert haben. Man kann den Fortschritt von der Bewunderung zur Kritik nicht besser bezeichnen als Wilamowitz[1] in einem Artikel über Thukydides: „Thukydides ist nicht der erste Schriftsteller, in dem man erst vor lauter Bewunderung gar keine Anstösse wahrgenommen hat, in einer zweiten Periode die Ueberlieferung so lange corrigirt hat, bis die a priori postulirte Harmonie hergestellt schien, und endlich sich hat überzeugen müssen, dass die kleinen Mittel zu scharf zugleich und zu schwach sind. – – Das Ende ist dann, dass entweder die Gesammtvorstellung von dem Können und Wollen des Schriftstellers berichtigt wird, wie bei Horaz und (über kurz oder lang) bei Sophokles, oder der Glaube an die Einheit des Verfassers, zum wenigsten an die Einheitlichkeit des Kunstwerkes, aufgegeben wird, wie im Homer und recht vielen Aristotelischen Schriften“.


II.

In den eben citirten Sätzen erkennt Wilamowitz an, dass Anstösse, die wir in Aristotelischen Schriften bemerken, uns nicht bestimmen dürfen, von dem Wollen und Können des Philosophen geringer zu denken, vielmehr auf die Annahme führen, dass die unter dem Namen des Aristoteles überlieferten Schriften nur zum Theil von Aristoteles verfasst sind. Im Streite um die Schrift

  1. Hermes XII, S. 486.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_011.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)