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er hat sie sich ohne Einschränkung angeeignet. Derselbe Verfasser, der sich hier zu oligarchischen Tendenzen bekennt, spricht sich im Princip für die Demokratie, und zwar nicht für eine gemässigte, sondern für die radicale aus. Staunend lesen wir in Capitel 41: „Ueberall hat das Volk die unmittelbare Entscheidung an sich gerissen; alles wird regiert durch Mehrheitsbeschlüsse und richterliche Urtheile, bei denen das Volk den Ausschlag gibt. (Denn auch die Gerichtsbarkeit des Rathes hat sich das Volk angeeignet, und daran thut es, wie mich dünkt, Recht; denn einige lassen sich leichter als viele durch Bestechungen und persönlichen Einfluss bestimmen.)“ Derselbe Historiker, der vorher Perikles einen Vorwurf daraus gemacht hat, dass er den Sold für die Volksgerichte einführte, billigt es jetzt, dass die letzte Schranke niedergerissen wurde, die der Allgewalt der besoldeten Volksgerichte noch im Wege stand. Wie er dazu kam, sich in diesen Widerspruch zu verwickeln, mag vorläufig dahingestellt bleiben. Dass dieser Widerspruch das äusserste Mass von Gedankenlosigkeit verräth, kann keinem Zweifel unterliegen.

Man darf hoffen, dass das ungünstige Urtheil über die historische Einsicht, die in der Londoner Schrift vom Staate der Athener zu Tage tritt, bald keinen Widerspruch mehr finden wird. Der Umschwung der Ansichten vollzieht sich in dem Streite um den Werth dieses Buches schneller als in ähnlichen Fällen. Mehr, als ihnen vielleicht selbst bewusst ist, haben die Philologen, welche dem neuen Aristoteles unbegrenztes Lob spendeten, ihren Gegnern bereits zugegeben, und mancher Einwand gegen die Autorität dieser Quelle, den im vergangenen Frühjahre jeder mit Entrüstung zurückgewiesen hätte, gilt jetzt als so selbstverständlich, dass er keines Beweises mehr zu bedürfen scheint. Am 14. Februar 1891 schrieb Diels in der Deutschen Literaturzeitung, dass Aristoteles seinen Stoff aus den besten Quellen gesammelt, chronologisch festgestellt, mitunter durch charakteristische Anekdoten anmuthig ausgestattet und dass er die dunkleren Partien der Athenischen Geschichte mit archivalischer Genauigkeit aufgehellt habe. Noch in einem Artikel, den im April das Archiv für Geschichte der Philosophie brachte, sprach Diels (S. 484. 9) von der durch Aristoteles „über Themistokles gegebenen Aufklärung“, hielt also, was über den Antheil des Themistokles am Sturze des Areopages erzählt wird, unbedenklich

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_009.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)