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mit der demagogischen Freigiebigkeit Kimon’s zu wetteifern, er hätte desshalb dem Volke aus der Staatskasse einen materiellen Vortheil verschaffen wollen. Man konnte den Richtersold billigen oder nicht billigen; jedenfalls war er ein wichtiges oder vielmehr das wichtigste Stück im Systeme der ausgebildeten Demokratie. Aristoteles z. B. verurtheilt ihn entschieden und sieht in seiner Einführung den letzten entscheidenden Schritt zur Vollendung der ausgearteten Demokratie; aber er zweifelt keinen Augenblick, dass diese Einrichtung, die er beklagt, durch die Consequenz des demokratischen Principes mit innerer Nothwendigkeit herbeigeführt worden ist[1]. Insbesondere findet es Aristoteles charakteristisch für die extreme Demokratie, dass auch die richterlichen Competenzen des Rathes an die besoldeten und desshalb von den niedrigsten Ständen beherrschten Volksgerichte übergehen[2]. Und in der That: wenn einmal das Volk Herr des Staates sein soll, so muss auch dem Aermsten, der sonst um sein tägliches Brod arbeitet, die Möglichkeit geboten werden, an der Ausübung des vornehmsten Hoheitsrechtes theilzunehmen. Das wurde durch den Richtersold erreicht. Wenn ein Schriftsteller eine solche Institution, statt sie in ihrer politischen Bedeutung zu würdigen, mit persönlichem Klatsche umgibt, so ist das nicht aus Parteilichkeit zu erklären, wie sie auch das Urtheil eines grossen Geistes trüben kann, es verräth eine kleinliche und engherzige Denkweise.

Wie der Verfasser der Schrift vom Staate der Athener an dieser Stelle oligarchischen Klatsch wiedergibt, so zeigt er auch sonst Antipathie gegen demokratische und Vorliebe für oligarchische Politiker. Das Treiben der Volkspartei nach dem Tode des Perikles und vor allem die wüste Demagogie während der letzten Jahre des Peloponnesischen Krieges werden scharf verurtheilt. Dagegen werden Gegner der Volksherrschaft, wie Nikias, Thukydides und Theramenes, gerühmt und der Zustand Athens unter dem aristokratischen Regimente des Areopages gepriesen. Diese Urtheile, welche eine Neigung zur Oligarchie verrathen, sind nachweislich zum Theile und wahrscheinlich alle aus den Quellen übernommen, die der Verfasser unserer Schrift benutzte. Aber

  1. Pol. IV, 1293 a 5 ff. IV, 1301 a 11 ff. Vgl. IV, 1298 a 30 ff. und sonst.
  2. IV, 1299 b 39 ff., vgl. 1317 b 30 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_008.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)